Heft 
(1881) 296
Seite
205
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Die musikalisch-ästhetische Literatur seit 1850.

Von

Heinrich Ehrlich.

IV.

rof. Di-. M. Lazarus in seinem Leben der Seele" hat der Musik einen interessanten Ab­schnitt gewidmet, in welchem besonders die psychologische Prüfung der Wirkungen von großem Werthe ist. Er steht in den meisten Betrachtungen mit Hanslick auf einem Standpunkte, hat aber doch viele neue Anschauungen ge­wonnen. Vortrefflich ist seine andeu­tende Erläuterung des gestimmten Seelen­lebens zum musikalischen Geiste, wie die concrete Gestaltung der musikalischen Formen, die erklingenden Tonreihen, in welchen diese Formen erscheinen, als ge­wisse Tätigkeiten erscheinen und gewisse Eigenschaften besitzen, wodurch sie eben diese Tätigkeiten und Eigenschaften repräsen- tiren und bewirken, daß sie in der Seele des Zuhörers sich gleichsam wiederholen. Solche Thätigkeiten und Beschaffenheiten der Tonreihen sind z. B.Rauschen, Wogen, Steigen, Fallen, Eilen, Hemmen, Sehnen, Locken, Kosen, Scherzen: stark, milde, streng (das scheint mir etwas zu weit gegangen), zart, plötzlich, gemach" re. re. Ich möchte hier noch hinzufügend be­merken, daß der jähe Wechsel der Ton­arten und Uebergänge und der dynamischen Wirkungen, der Berschiedenartigkeit in der Stellung der Töne, die Anwendung der stark und schrill tönenden Instrumente oder Tonlagen eine nervöse Erregung in den Hörern erzeugt, durch welche den

Vorstellungen die Schwelle des Bewußt­seins weit geöffnet wird. Es ist nicht jedem Componisten gegönnt, einen solchen jähen Wechsel und solche Tonstellungen in seinen Werken zn schaffen, welche eine derartige anhaltende, d. h. mit gewissen ästhetischen Anregungen und Anschauungen vermischte Aufregung erzeugen können. Ganz richtig sagt Lazarus von der Musik, ihr Inhalt seien Tonreihen und Tonver- hültnisse, welche durch ihre Form schön sind, aber durch ihre Individualität ge­mäß ihrer Verwandtschaft mit physischen und psychischen Erscheinungen eine Be­ziehung auf Ideen und das Gesammt- leben der Seele gestatten.

Das vortreffliche Werk bietet noch die eigenthümliche, höchst interessante Erschei­nung, daß die rein elementare, von der Kunstanschaunng entfernt liegende Wirkung gleichsam als ein Vorzug der Musik dar­gestellt wird. Hören wir Lazarus' eigene Worte. Nachdem er von denwunder­baren Wirkungen des bloßen Kuhreigens, eines Glockengeläutes, eines Waldhornes, eines Jodlers oder der schlichtesten Weise eines Volksliedes" gesprochen, deren Wir­kungsicherlich nicht in der Anschauung der Tonschönheit" besteht, sondern in der Erregung gewisser Seelenstimmnngen, theils auf dem Grunde rein physiologischer Einflüsse, theils durch die Mitwirkung von hervorgerufenen Erinnerungen, sagt er: Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß