Heft 
(1881) 296
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Jllnstrirtc Deutsche Monatshefte.

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der gebildeten Sprache gebraucht, die ein Leser ohne zu große Mühe im Gedächtniß behalten und gelegentlich als ein eigenes Urtheil verwerthen kann.

Ich will nun hier durchaus nicht etwa sagen, daß die Schnelligkeit der Beurthei- lung nicht auch mit gründlichster Sach- kenntniß verbunden sein kann. Ich gehe sogar noch weiter und behaupte, daß ein Kritiker von gebildetem Geschmack, der gewohnt ist, verschiedenartige Gattungen von Musik ohne Voreingenommenheit zu hören, ein viel verläßlicherer Beurtheiler sein kann als der gründliche Musikge­lehrte, der mit seiner Gelehrtenbrille aus der einsamen Schreibstube in die beweg­liche Kunstwelt hinausblickt und Alles, was er nicht mit seinem im Pulte liegen­den Systeme vereinbaren kann, schonungs­los verwirft. Ich will hier nur darauf Hinweisen, wie bei den jetzigen Verhält­nissen und Wechselwirkungen in Kunstleben und Gesellschaft die Kritik in den Tages­zeitungen großer Städte Zugeständnisse gewähren muß, welche der gründlichen, gewissenhaften Behandlung des Gegen­standes widersprechen, und wie besonders eine ruhige künstlerische Analyse, ein ge­naues Wiedervorstellen und Prüfen der Eindrücke nicht möglich ist, weil das Ur­theil unmittelbar nach diesen Eindrücken niedergeschrieben werden muß, und weil bei ihnen gar oft Nebendinge und Zu­fälligkeiten so bedeutend Mitwirken, daß nur ein sehr ruhiges und durch Zeit ge­reiftes Erwägen das Urtheil von solchen Nebeneinflüssen befreien kann. Der Kri­tiker in der Tagespresse, welcher seinem Urtheil Eingang und Verbreitung ver­schaffen will, ist auch gezwungen, den in der Gesellschaft gerade gangbaren herr­schenden Ideen, dem ästhetischen Mode­geschmack Rechnung zu tragen und mehr schön als sachlich zu schreiben, wenn er nicht den schlimmeren Weg Anschlägen und nur recht Effect machen, Aufsehen erregen, mehr ein pikantes Feuilleton als eine wirkliche Beurtheilung liefern will. Die Erfahrung lehrt, daß in den meisten besseren Tageskritiken die Metapher vor­wiegt, die schönen Phrasen, bei denen sich sehr viel- vielleicht auch wenig den­ken läßt. Die Tageskritik darf eigentlich ein Tadel darum nicht treffen, denn ivenn sie den Einfluß aus das Publikum uicht

verlieren oder ihn nur den Geistreichen, Witzigen, wenig Wissenden und um so mehr Rücksichtslosen überlassen will, so muß sie den Wünschen des gebildeten Zei­tungspublikums Rechnung tragen; und dieses erfreut sich, besonders in Nord­deutschland, am meisten an recht empfind­samen, schwärmerischen oder frommen Redewendungen, wenn sie auch vor einer näheren Prüfung gar nicht Stich halten können, und hält den Kritiker, welcher solche Wendungen vermeidet, für des Enthusias­mus unfähig, wo nicht gar herzlos! Also nicht die Berichterstatter der Tagesblätter darf ein Vorwurf treffen, die besseren unter ihnen thun, was sie können, und streben Gutes an, wenn sie auch dem gebildeten Publikum manchmal zu weit­gehende Zugeständnisse einräumen und derjenige, in dessen Wesenheit es uicht liegt, herrschenden Richtungen sich anzu­passen, wird immer einen sehr schweren Stand haben und niemalspopulär" werden. Aber diejenigen Musikgelehrten und Aesthetiker trifft ein Vorwurf, welche durch Beruf und Stellung dem Tages­getriebe fern stehen, welchen die wissen­schaftliche Behandlung der Kuustfrageu als Pflicht obliegt und die sich dennoch verleiten lassen, um das Gefallen der gebildeten Laien" zu erlangen, Schön­rednerei nnd poetisch klingende, aber wissenschaftlich unhaltbare Darstellungen und Erklärungen in ihren Werken anzu­bringen. Durch derartige Concession an den Modegeschmack, an die Salonästhetik wird selbstverständlich auch die seuilletoni- stische Behandlung der Kunstfrage in hohem Maße befördert; warum soll der Zeitungsberichterstatter vermeiden, was der Gelehrte uicht vermeidet? Seine Verpflichtung ist, die täglichen Ereignisse des Musiklebens in raschester Weise zur Kenntniß des Publikums zu bringen, die Bekanntschaft zwischen diesen und den neuen Werken und Künstlern zu ver­mitteln. Die Erfüllung dieser Aufgabe ist an die unerläßliche Bedingung geknüpft, daß die Urtheile des Berichterstatters dem Publikum gefallen, daß sie in angenehmem und anregendem Stile verfaßt seien und daß sie die Hauptpunkte kurz und ent­schieden besprechen, damit der Leser ein Bild vom Ganzen erhalte. Auf gründ­liche Darlegung kommt es hierbei weniger