leinhold: Karl von Holtei.
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dem linken Ohr, die ihn seit Jahren belästigte und stetig wuchs, eine Operation erfordere, die er gern von Professor Middeldorpf gemacht wünschte, hatten ihn zunächst zum Aufbruch getrieben. Der Conflict seiner preußisch - monarchischen Ueberzeugung mit den Ansichten seiner Umgebung, geschärft durch seine Unfähigkeit, zu schweigen, erschwerte ihm bei der immer schärferen Spannung zwischen Oesterreich und Preußen das Leben in Graz und machte die Rückkehr unmöglich. Als! im Sommer 1866 der Krieg losbrach, segnete er den zu Weihnachten ausgeführten Entschluß trotz aller Sehnsucht nach seiner Tochter und deren Familie. Seine Seele war nur tief betrübt, daß sein ^ zweiter Enkel gegen Preußen mitfocht. !
Holtei hatte seine Wohnung zu Breslau in den „Drei Bergen" aufgeschlagen, einem alten Gasthofe der Büttnerstraße. Dort hauste er drei Treppen hoch in zwei Zimmern. Der Versuch befreundeter Familien, ihm eine eigene Häuslichkeit einzurichten, mißlang; er war froh, auf den Gipfel der „Drei Berge" zurückkehren zu können. An alten und neuen Freunden mangelte es ihm nicht. Sein großes geselliges Talent, seine hezanbernde Liebenswürdigkeit, wenn er liebenswürdig sein wollte, machten ihn zum willkommenen Gaste, wo er erschien. Viel verkehrte er in dein ihm längst befreundeten Franck- schen Haufe, einem Mittelpunkte gemüth- voll warmer und geistig belebter Geselligkeit. Sein alter Freund, Professor August ! Kassiert, der tüchtige Gelehrte, feine Kunst- ^ kenner, geschmackvolle Dichter und gründ- ! liche Kenner schlesischer Bildungsgeschichte, konnte nun in lebendigem Austausche auf ^ ihn wirken. Einer wichtigen Beziehung! wollen wir sodann noch besonders gedenken, ^ der zu dem Fürstbischof von Breslau, ! Heinrich Förster. Durch das Verhältnis zu dem fürstlichen Hause in Trachenberg hatte Holtei den damaligen Domherrn? und Domprediger zuerst kennen gelernt. ! Bei der Rückkehr nach Breslau hatte er! dem Fürstbischof seine Aufwartung gemacht, und bald war er wöchentlich Gast an der Tafel des geistvollen und wohlwollenden Kirchenfürsten. Es konnte nicht fehlen, daß sich darüber das Gerücht bildete, Holtei wolle katholisch werden oder sei es schon geworden. Er hat in
seinem Leben öfter diesen Verdacht erweckt, und noch nach seinem Tode ward in Zeitungen behauptet, er sei als Katholik begraben worden. Wie Holtei von dem Katholicismus dachte, hat er in den „Vierzig Jahren" (Bd. V, S. 119 ff.; Bd. VI, S. 171 ff.) deutlich gesagt. Seine ungedruckte Schrift „Fürstbischof und Vagabund" hat er hauptsächlich geschrieben, um jenem Gerücht entgegenzutreten. Der schroffe Bruch, mit dem er sein Verhält- niß zu dem ihm herzlich gesinnten Fürstbischof endete, hatte seinen Grund zum Theil in jenem Geklätsch. Zum größeren Theil hatte er freilich tiefere Motive.
Holtei's äußere Lage besserte sich 1870 dadurch bedeutend, daß er vom April ab infolge eines Antrags des Oberpräsidenten v. Schleinitz aus der General-Haupt- Staatskaffe eine jährliche Subvention von fünfhundert Thalern erhielt. Nun war er ein Tausendthalermann, wie er mir scherzend schrieb, denn er bezog schon seit 1860 eine Pension ans der Schiller-Stiftung. Zu diesen tausend Thalern legten dann die schlesischen Stände jährlich fünfhundert Thaler zu. So war er vor Noth geschützt, und er brauchte nicht mehr des Erwerbs wegen zu schreiben, zumal auch die Tantiemen, die von feinen Stücken einliefen, jährlich immer noch ein Sümmchen ausmachten. Nun hätte er auch seine geliebte Autographensammlung nicht mehr verkauft, welche 1869 durch einen Vertrag, der nicht gehalten ward, an den Photographen Robert Weigel überging. Sie ist, statt nach Holtei's Bedingung in die Sammlungen der Breslauer Stadtbibliothek überzngehen, theils verschwunden, theils in alle vier Winde verzettelt.
Im Jahre 1876 war die Balggeschwulst zur bedenklichsten Entwickelung gekommen. Die Aerzte fürchteten eine Vereiterung und plötzlichen Aufbruch mit tödlichem Ausgange. In seinen unwirth- lichen Gasthofzimmern konnte Holtei solcher Aussicht nicht entgegengehen, und so ward die längst beabsichtigte Uebersiedelung in das Kloster der Barmherzigen Brüder im December ausgesührt. In dem zweiten Stock des nach dem großen Garten liegenden Flügels bezog er ein freundliches Zimmer als Pensionär und genoß unter den billigsten Bedingungen ärztliche Behandlung, sorgsame Pflege und gute,