Heft 
(1881) 296
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238 Jltustrirte Deutsche Monatshefte.

reichliche Kost. In keinem Privathanse, auch nicht in der eigenen Familie, hätte ihm das Gleiche in gleicher Art geboten werden tonnen. Die Entleerung der Balggeschwulst trat bald ein, aber Holtet starb znm Erstaunen der Aerzte nicht daran. Sein Gesicht war schmal ge­worden wie früher, und sein Leben spann sich in seiner Zelle weiter, die er im An­fang höchst selten, bald gar nicht mehr verlassen mochte.

Es waren drei traurige Jahre, die er, den Tod ersehnend und doch von ihm übersehen, bei den Barmherzigen saß. Es gab freilich auch erträgliche Tage, an denen er theilnehmend, ja selbst in alter Behaglichkeit und Lebendigkeit den Be­suchenden erschien. Aber die meisten waren voll Leiden, manche in trüber Dumpfheit befangen oder geistig umschleiert. Für die bedienenden Brüder sowie für die treue Frau, welche jahrelang täglich ihn be­suchte und für ihn sorgte, war es oft recht schwer, um ihn zu sein. Allmälig wurden der Besuchenden weniger, und dieselben nahmen meist ein trübes Bild mit. Ein heiterer Sonnentag war noch sein achtzigster Geburtstag (24. Januar 1878). Die öffentliche Feier in Breslau und an vielen Orten in und außer Schlesien, die zahllosen Zusendungen, Geschenke, Deputationen, die Auszeich­nung, welche des Königs Majestät ihm durch Verleihung des Ritterkreuzes des Hvhenzollernordens erwies, erfreuten und bewegten ihn tief. Aber es war der letzte Sonnentag, und endlich brach die lang ersehnte Nacht herein.

Am 12. Februar 1880 Nachmittags gegen fünf Uhr verschied Karl v. Holtei; am 15. Februar ward er beerdigt. Der Sarg stand, von Kränzen und Palmen­zweigen bedeckt, in der Leichenhalle des Klosters. Seine Tochter und der älteste Enkel waren von Graz herbeigeeilt, die Halle war von Trauernden und Teil­nehmenden gefüllt. Diaconus Decke von der evang. Hauptkirche zu St. Bernhardin hielt am Sarge ein Gebet, in das er eine Charakteristik des Verstorbenen verwob. Eine Rede hatte Holtei verboten. Dann ward der Sarg gehoben und zur Kloster­pforte ans den Leichenwagen getragen. Als er an der Thür erschien, stimmten die Trompeter der schlesischen Kürassiere

leise das Mantellied an, sie gingen dann über in einen Choral. Weithin standen Tausende gedrängt, Tausende folgten in dem Zuge, den die Studenten der Univer­sität eröffneten. Auf dem Bernhardin- Kirchhof bei Rothkretscham, draußen an der Landstraße nach Ohlan, war das Grab bereitet. Unter dem Segen des Geistlichen nahm es den müden Leib des alten fahrenden Sängers auf.

Der Stein von rothem Granit, den die Tochter über des geliebten Vaters Grabe errichtet hat, trägt außer dem Namen und den Angaben von Geburt und Tod nur die Worte aus einem Gedichte Holtei's:

8o8tö Lvlr IlSSII».

(Sonst nichts, nur heim.)

-r-

Holtei war von hohem Wüchse; in seinen jungen Jahren hatte er über sich, den langen, blassen Menschen", oft selbst gescherzt. Später war er kräftig gewor­den und machte eine stattliche Erscheinung. Seit 1832 trug er einen Vollbart; als er älter ward, ließ er auch das Haupt­haar lang wachsen, besonders um die Balggeschwulst zu verdecken.

Im schwarzen Anzuge, die Hände mit dem Stocke ans dem Rücken, sinnend vor sich blickend, aber 'zum Gespräche mit Begegnenden, die ihm angenehm waren, gern geneigt, wanderte er in Graz um das Glacis ans den Schloßberg, in Breslau um die Promenaden. Am lieb­sten weilte er hier auf der Ziegelbastion, hinunterblickend aus die Oder und hinüber aus den Dom und die Sandinsel, die ein schönes Bild geben.

Wenn man mit ihm im behaglichen Gespräch war und er die Schleusen seiner Plaudergaben aufzog,trat der ganzeMensch heraus: die bunte Fülle seiner Lebens­erfahrungen, die reiche Belesenheit, die er gern mit einigem gelehrten Schimmer leuchten ließ, die Beweglichkeit und An­geregtheit seines Geistes, die Gutmüthig- keit und Weichheit, die treue Gesinnung gegen Freunde, seine Neigung zu be­schützen und zu vermitteln, seine preußisch­königliche Gesinnung, seine Rathlosigkeit in religiösen Fragen. Holtei grübelte gern und versenkte sich im Stillen oft in schwermüthiges Nachsinnen über die höch-