Weinhold: Karl von Holtei.
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sten Probleme des Lebens. Aber es kam wenig Tröstliches dabei heraus, denn seinem Denken fehlte die Zucht. Eigentlich war es für ihn ein Unglück, daß er als Protestant geboren war. Naturen wie er bedürfen der Stütze durch eine feste Autorität, und jene Gerüchte über seinen Uebertritt entsprangen im Grunde dem dunklen Gefühl, daß er für seine Scrupel wie für manche Verirrungen am leichtesten Beruhigung im Schoße der römischen Kirche finden würde.
Er behauptete aber seine rationalistische Selbständigkeit. Dagegen hatte er den politischen Liberalismus früherer Jahre, der noch aus den „Stimmendes Waldes" zu vernehmen ist, im Jahre 1848 bedingungslos zu Füßen des königlichen Thrones abgestreift. Die wachsende Währung seit 1840, welcher er auf seinen Wanderzügen nicht immer in den besten Vertretern begegnete, schwächte mehr und mehr seine liberalen und kosmopolitischen Sympathien ab. Als dann die Revolution losbrach und er den Schmerz erlebte, daß keine kräftige und zielbewußte Staatsgewalt sie bändigte, ward er zum Royalisten vom reinsten Blute. Er forderte vor Allem Bezwingung der rohen Massen und Herstellung der Autorität der Krone. Die von ihm selbst erkannte Unfähigkeit, im Meinungsstreit Ruhe und Besonnenheit zu behaupten, trieb ihn auf die äußerste Rechte, und es war ein Gespräch über politische Dinge, auch wenn man nicht links stand, kaum ohne Verstimmung zu führen. Wo er in seinen Romanen die Politik auf Charaktere und Entwickelung wirken läßt, geht es ohne parteiische Verzeichnungen nicht ab.
Ein Grundzug seines Wesens machte ihn zum preußischen Royalisten: die Treue. Aus preußischem Soldatenblute entsprossen, die Erinnerungen vom Jahre 1813 in der Seele, hatte er wiederholt die patriarchalische Theilnahme König Friedrich Wilhelms III. an seinem Geschicke erfahren. In dem Dichter der „Lenore" schlug ein starkes preußisches Herz. Denn während des wiederholten und langen Aufenthalts in Oesterreich hatte er trotz aller Liebe zu Land und Volk erkannt, daß die Lebensbahnen dieses Staates anderswo lägen als „draußen im Reich". Die Regierungsart und die Persönlichkeit Friedrich Wilhelm's IV.
war ihm keineswegs sympathisch, aber fast krampfhaft vertheidigte er dieselbe gegen alle bitteren Angriffe, welche er 1850 bis 1860 täglich in Oesterreich hören mußte. Mit stets wachsender Verehrung und Liebe wandte er sich dann dem Prinzregenten, dem König Wilhelm, dem deutschen Kaiser, zu. Diese mannhafte und zugleich milde Fürstengestalt war nach seinem Herzen, und bei jedem neuen Zeichen, das alte Preußen stehe wieder auf, es wachse an Ansehen und Macht, jubelte er laut und dankte im Stillen. In seinen Königsliedern hat er Zeugnisse seiner Gesinnung gesammelt, die ans den „Zwölf Liedern für König Friedrich Wilhelm III." vermehrt werden können.
Die Treue seines Gemüthes galt auch dem Heimathlande. Wie es dem Schlesier häufig geht, war er außerhalb Schlesiens erst zum Bewußtsein dessen gekommen, was die Heimath in Natur und Menschen Eigenthümliches besitzt. Liebend versenkte er sich nun hinein, wie die „Schlesischen Gedichte" und seine Romane bezeugen. In den Jahren 1850 bis 1860 blieb Holtei dem Vaterlande ganz fern. In dieser Zeit, welche ich mit ihm in Graz verlebte, wuchs seine Sehnsucht von Jahr zu Jahr. Wir haben da viele Abendstunden über die Gegenden, die Menschen, die Sprechweise und den Wortschatz Schlesiens geplaudert, und der blaue verschönernde Duft der Ferne legte sich über alles Heimathliche.
Holtei hat in den „Vierzig Jahren" sein Leben mit rücksichtsloser Offenheit erzählt und seine Thorheiten und Verirrungen nicht geschont, so daß er die Linie zwischen Ehrlichkeit und Preisgabe seiner selbst oft überschritt. So ungescheut er hier, wie sonst in Rede und Schrift, Dinge berührt, die besser ungesagt bleiben, so ungerecht wäre es doch, ihn einen frivolen Schriftsteller zu nennen. Freilich mischt er in die Erzählungen und Romane sinnliche Motive und Situationen zuweilen ein. Aber er wird dabei nur selten lüstern, er spricht das Sinnliche derb und unschön aus. Wie bei seinen Selbstbekenntnissen war er auch dabei von der falschen Ansicht geleitet, das Leben und die Menschen müßten in voller Natürlichkeit vorgesührt werden, und jene Seite gehöre nun einmal zum Leben. In den dramatischen