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Wcinhold: K
größtentheils mit ihm selbst sehr wenig zu thun haben. Seine „Gedichte",* * des „Waldes Stimmen" und die „Schlesischen Gedichte":
„Diese drei
Nicht allzu dicken Bände sind der Mensch,
Der ganze Mensch."
Und weiter sagt er in derselben Vorrede zu der 4. Auflage der „Gedichte":
„Ich setze mich
Bescheidcntlich ins Dunkel, in den Schatten,
Und meine Reime wimmeln um mich her,
Nicht unbescheidner sind sie als ihr Vater — Für etwas Höheres hielt ich mich nie Als sür den Dichter der Gelegenheit,
Wie inan uns nennt. Vergebens bin ich nicht Ein Schlesier, und was das heißen will Bei lyrischen Poeten — jeglich Handbuch Der Literargeschichte meldet's euch Seit grauen Jahreil."
Holtet meint hier nicht bloß, daß er reichlich zu allerlei Gelegenheiten an mancherlei Personen Reime verfaßte, sondern daß seine Gedichte stets aus bestimmtem Anlaß entsprangen, daß sie zum Leben in engster Beziehung stehen. Seine Schlesiernatnr aber hebt er hervor, nicht allein weil die Gelegenheitsdichtung in Schlesien vom siebzehnten Jahrhundert ab bis in die Gegenwart stark blühte, sondern auch weil er sich den alten
Schlesiern verwandt fühlte. Wie bei ihnen die Reflexion die Gedichte durchzieht,
Schwermnth, Gram und Zweifel neben heiterer Lebenslust liegen, wie die Verse ihnen leicht fließen, so auch bei Holtei.
Liebe und Leid, leichte Lebenslust und trübe Erinnerung klingen ans den viel- sormigen Gedichten Holtei's als Grundtöne hervor. Er hatte für das Lied ein unleugbares Talent, das durch das deutsche Volks- und Gesellschaftslied und die Beranger's ausgebildet
ward. In seiner früheren Lebenszeit
dichtete er ungemein viel auf bestimmte Melodien zum Gesänge. Im ersten der „Deutschen Lieder" läßt er seine Gedichte bitten:
Nur leset uns nicht, wie man Bücher liest,
Nein, singt!
Das prüfende Lesen die Lieder verdrießt,
O singt!
Denn wenn ihr uns prüft, wir ertragen es kaum, Wir lösen uns bebend in Ranch und in Schaum. O singt!
* 1. Auflage (Breslau 1827); 2. Auflage unter dem Titel „Deutsche Lieder" (Schleusingen 1834);
rl von Holtei.
Später tritt die tiefere Versenkung in das Gefühl und die ruhige Entwickelung reicherer Gedanken mehr hervor. Auch in dem eigentlichen Gelegenheitsgedicht sucht er den besonderen Fall durch die Beziehung ans das Allgemeine aus dem Vergänglichen des Tages und der Person zu erheben.
„Die Stimmen des Waldes"* sind zum größeren Theil in Prosa versaßt. In den rhythmischen Stücken wendet Holtei die Liedform gern an, ja er hat kleine Liederspiele gebildet. Der Wald hatte für ihn seit den Jugendtagen in Obernigk und Grafenort einen großen Reiz. Ihm war das Auge für das Leben der Waldthiere und der Vögel geöffnet, und er schilderte es in diesen Wald- und Feldbildern, welche die Freude an dem reinen, stillen Hauch des Waldes, die treue Beobachtung des Thierlebens, die Versenkung in die einfachsten Verhältnisse des Daseins durchzieht. Ab und zu kommt auch ein satirischer Zug, wie in der Thiersabel, hinein. Die Liebe zu Natur und Wahrheit klingt durch alle diese Stimmen des Waldes, des Feldes, der Luft, diese Fabeln, Märchen und Liedchen, wie Holtei selbst sie bezeichnet.
Höher als diese Stimmen und die hochdeutschen Gedichte stehen nach meinem Urtheil die „Schlesischen Gedichte", die in Schlesien allmälig zu einem weitverbreiteten Hausbuch geworden sind.** Die Liebe zur Heimath ist der Mutterboden dieser Erzeugnisse; Hebel's alemannische Gedichte hatten Holtei angeregt. Jene feine Behandlung der Mundart, jene saubere Heransgestaltnng des Bürgers und Bauern, die dem Sohne des Markgrafenlandes meisterlich gelang, war für Holtei das Vorbild. Er vermied daher die grobe Mundart einer bestimmten Gegend und schuf sich eine schlesische Schriftsprache, welche die örtlichen Sonderbarkeiten vermeidet und den allgemein schlesischen Charakter trägt. „Wir erkennen in diesen Gedichten," äußerte ein Beurtheiler in Goethe's „Kunst und Alterthum" (VI, 2), „mehr den schlesischen Sinn, die dort
3. Auflage „Gedichte" (Berlin 1842); 4. Auflage (Hannover 1850); 5. Auflage (Breslau 1861). Vergleiche Holtei's Vorrede zur 4. Auflage.
* 1. Ausg. Breslau 1848, 2. verm. Ausg. 1854.
^ 1. Ausg. 1830, 2. Ausg. 1850, 17. Ausg. 1880.
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