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Jllustrirtc Deutsche Monatshefte.
eigenste Wendung des Gedankens, Auffassung der Bilder aus Natur und Leben, und hören eigentlich nur den gebildeteren Landmann reden, der in bescheidener Dorfschule die härtesten Ecken abgeschliffen, ehrlichen schlesischen Ton jedoch treu bewahrt hat." Holtet hat als wirklicher Meister seinen Stoff geformt. Er beherrscht nicht bloß die schlesischen Laute, Worte und Redeweisen auf das vollkommenste, sondern bildet auch die schlesischen Menschen treu und zugleich künstlerisch. Denn ihm behagt nicht, die werthen Landsleute in breiter, derber und gemeiner Natürlichkeit, eckiger Grobheit und starkem Materialismus auf das Papier zu stellen. Er weiß, daß der Dichter Künstler sein muß und daß Phcstographiren nur eine Fertigkeit ist. Idyllische Schilderungen und'lyri- ! sche Stimmungen, Reflexion und Satire, durchziehen diese Gedichte. Warme Hei- mathsliebe, Sentimentalität, frische Lebenslust, Humor und Witz, Jugenderinnerungen und Mannesgedanken springen hier in Hellen Quickbrünnlein. Für des Dichters eigenstes Wesen geben die „Schlesischen Gedichte" ein ungemein wichtiges Zeugniß, wie sie andererseits ein Denkmal der Schlesier in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts bleiben werden oder, wenn man lieber will, der Deutschen in Schlesien.
Diese schlesischen Urkunden in poetischer Form leiten zu den Romanen Holtei's über, die größtenteils auf schlesischer Erde spielen. Sie gehören seiner letzten Periode an. Zwar hatte er sich schon früh an kleinen Erzählungen versucht, aber sie blieben Nebenwerk. Erst mit den „Vagabunden" (1851) trat er unter die Romanschriftsteller.
Sehen wir von den novellenartigen Erzählungen und den Criminalgeschichten ab, deren einige sich durch festen Ban und saubere Ausführung technisch über seine größeren Werke erheben, so scheiden sich zwei Gruppen: die Abenteurerromane und die Adelsromane. Zu den ersten gehören „Die Vagabunden", „Ein Schneider", „Der letzte Komödiant", zu den zweiten „Lammfell", „dlodwZss obliA«", „Die Eselsfresser", „Haus Treustem", „Erlebnisse eines Livreedieners".
Ich kann über Holtei's Romane im Wesentlichen nur wiederholen, was ich in i
meiner Rede zu seinem achtzigsten Geburtstage (Breslau 1878) geäußert habe. Sie bilden freie Ergänzungen zn den „Vierzig Jahren", es sind Widerspiegelungen des von ihm oder Anderen neben ihm Erlebten, auf treuer Beobachtung ruhende Nachformungen der Gestalten, welche er wirklich geschaut hatte. Mündlich und schriftlich hat er oft geäußert, der Dichter könne nur das mit wirklicher Kraft und Fülle bilden, was er selbst erfahren habe; er war deshalb auch ein entschiedener Gegner des historischen Romans. Seine Romane haben als Zeitgrenzen die Periode seines Lebens und greifen rückwärts nur so weit, als die Generation reicht, welche er als Knabe und Jüngling kannte. Als landschaftlichen Raum nimmt er vor Allem ! Schlesien; daneben versetzt er die Handlung i nach seiner zweiten Heimath Berlin, mitunter nach Wien oder Paris, wo er ebenfalls zu Hause war. Die Personen seiner Geschichten gehören entweder dem kleinen und mittleren Adel an, den er vermöge Geburt und gesellschaftlicher Beziehung genau kannte, sowie Kreisen, die zu diesem Adel in nächster Verbindung stehen, oder es sind Leute der fahrenden Künstlerwelt, mit der Holtei merkwürdig vertrant lvar.
Er forderte von dem Roman vor Allem Lebenswahrheit. Seine Geschichten haben alle einen wirklich erlebten Kern; die Gestalten sind Figuren nach geschauter Wirklichkeit, wenn auch keine Copien einzelner bestimmter Personen. Holtei will in den Romanen nicht künstlich verflochtene, ans Spannung und Ueberraschung angelegte Geschichten geben, sondern psychologisch treu durchgeführte Biographien. Es sind also Erzählungen des Lebens seiner Helden von der Kindheit bis zum Tode oder wenigstens bis zu der Beruhigung des Suchenden. Zuweilen erleben wir zwei oder drei Generationen. Gleich dem menschlichen Leben sind diese Romane bunte Compositionen mit mancherlei Episoden, vielen retardirenden Momenten und nicht selten mit unbefriedigendem Ausgang. Von diesem Standpunkte muß man sie beurtheilen, will man ihnen gerecht werden. Wie der „Simplicissimus" kein Kunstwerk ist, aber ein bedeutsames, interessantes literarisches Denkmal des i dreißigjährigen Krieges, so werden auch