Wein hold: Ka
die besten Holtei'schen Romane — „Vagabunden", „Christian Lammfell", „idiobl6886 ollliAa" — in später Zeit noch als lebenswahre, für die Sittengeschichte des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts wichtige, in Composition und Ausführung nicht tadellose, aber an guten und tüchtigen Theilen reiche Prosadichtungen einen Namen behaupten. Wie im „Simplicissi- mus" die Kindheitgeschichte des Helden vortrefflich erzählt ist, so gelingen auch Holtei die idyllischen Schilderungen aus der Jugend seiner Helden vom Dorfe oder aus der kleinen Stadt ausgezeichnet. Er malt mit warmer Localfarbe, trifft den eigenthümlichen Ton der Zeiten und giebt jeder Figur die Sprache, welche sie als lebendiger Mensch geredet hätte.
Der bedeutendste, wenn auch für gewöhnliche Leser nicht der amüsanteste Roman bleibt „Christian Lammfell", den ich überhaupt für Holtei's reifstes Werk halte. Er ist dies nicht bloß durch die meisterliche Vorgeschichte und durch vieles Treffliche in dem Haupttheil, sondern vornehmlich durch die Tendenz, mit der Holtei sehr gefeierte Schriftsteller und weit tugendhaftere Leute, als er war, übertrifft: die Verherrlichung der demü- thigen, entsagenden christlichen Liebe. Wer eine Gestalt, wie der kleine Glatzer Caplan im Leben war, zu einer solchen dichterischen Figur heranbilden und bis in die innersten Tiefen und Winkel ver- ständnißvoll ausarbeiten kann, erhebt sich über das gewöhnliche Maß des Poeten und schreibt sich als Menschen einen Ablaßbrief für manche Schwächen und Sünden.
Wenn Holtei bei seinem seltenen Talente lebendigster Veranschaulichung von Zeit und Raum und bei treuester und sorgfältigster Gestaltung der Personen
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dennoch nichts durchaus Bedeutendes und Vollkommenes geschaffen hat, so liegt dies hauptsächlich an der großen Subjectivität seiner Dichtungen. Wo er objectiv zu werden vermochte oder wo das subjective Wesen der Aufgabe entsprach, schuf er kleine Meisterstücke, wie in den „Schlesischen Gedichten". Wo aber zur ästhetischen und sittlichen Durchbildung des reichen Stoffes ein Maß erforderlich war, das außer der Persönlichkeit Holtei's lag, da gelangen nur Theile oder das Ganze blieb unbefriedigend. Außerdem war jene Ruhelosigkeit, die ihn im Leben von Ort zu Ort trieb, ein gefährlicher Feind seiner Arbeiten. Er hat in seiner Romanperiode fleißig und emsig gearbeitet, zählt man die Stunden, die er täglich am Schreibtische saß. Aber er konnte die alte Flüchtigkeit und stürmische Nachlässigkeit seiner- dramatischen Spiele und älteren Erzählungen innerlich nicht überwinden und verdarb sich dadurch oft den Erfolg.
Holtei hat selbst über seine Stellung in der Literatur und über den Werth seiner Schriften bescheiden geurtheilt. Kein größeres Werk ist als durchaus vollendet zu rühmen, eins nähert sich aber wenigstens dem Besten seiner Gattung. Vieles verweht als Spreu im Winde, denn es war nur für den Augenblick bestimmt. Aber mit Vielem, was er schrieb, redete und sang, hat er das Herz der Zeitgenossen gerührt und ihre Gedanken bewegt. Seine Lieder haben auf den Lippen von Tausenden getönt, und wenn er auch nicht zu den Unsterblichen ausstieg, so steht er doch unter den deutschen Dichtern, welche weithin gewirkt haben und die mit ihren besten Werken durch mehr als ein Geschlecht leben werden. Darum gilt von ihm sein bescheidenes Wort: „Und ganz vergebens hat er nicht gelebt!"