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Jllustrirte Deutsche Monatshefte.
lassend, über Haide, Fels und Geröll höher hinauf. Den Weg bedeckt Schutt der Vergangenheit. Vielerlei Marmorarten, Scherben von Glas und Thon, Stücke schön gefärbten Stuckes, der von den Wänden abgebröckelt ist, sind hier zu finden; auch Münzen und, wenn Einer Glück hat, ein unzerbrochenes Thränen- släschchen. Leuchtend ragt zuweilen der Rumpf einer Säule aus der Erde, oder Brombeer und Rosen umranken dornig den Leib einer verstümmelten Statue. Von dem mit den Resten vergangener Jahrtausende gedüngten Boden steigt tiefe Wehmuth zu dem einsamen Wanderer empor, ihm ins Herz hinein.
Aus blumigem Grase duftet des Plinius „Viola Tusculana" auf, in den Lüften jubilirt eine Lerche, tief drunten weitet sich im Sonnenschein die erhabenste Welt.
Die Area eines Tempels wird überschritten. Sie liegt genau von Osten nach Westen. Plötzlich verengt sich der Pfad. Backsteingetrümmer, wie Felsblöcke eines Bergsturzes wild durch einander geschleudert, schiebt sich riesenhaft vor. Hollunder blüht dazwischen, goldgelber Ginster, wilde Myrthen; Epheu umklammert die Massen. Das Laub ist verdorrt. Abgestorben und leichenhast zwängen die Stämme und Zweige sich ein. Wie ein Gewirr grauer scheußlicher Schlangen kriecht es das Mauerwerk hinan, umschließt, umwindet, umzüngelt, umknotet es tausendfach. Man fühlt Entsetzen, als sei das Gestein ein Lebendiges, das gräßlich erstickt und erwürgt würde.
Heiß brennt die Sonne herab. Man liegt im duftenden Kraut der Menthe und schließt vor der Helle die Augen. Die Lerche jubilirt nicht mehr, aber in der Ferne singt der Hirt sein Ritornell, darauf Niemand ihm Antwort giebt: langgezogene, weithin hallende Töne, immer dieselben zusammenhangslosen, wundersamen Weisen, sehnsüchtig und schwer- müthig, wie es die Einsamkeit ist.
Schön ist es hier! Ob im Frühling, wenn Tusculums Trümmer Blüthen überschütten und die Luft der Jubel der Lerchen erfüllt, ob im Sommer, wenn es versengend herabglüht und Alles ringsum feierliche, erhabene Oede ist, ob im Herbst, wenn Frascati's Kastanienwälder purpurn gefärbt und Marino's Wein
gefilde sich in die Ebene ergießen wie ein goldener Strom, ob im Winter, wenn Sturm braust, Gewölk aufjagt, die Cam- pagna ein Nebelmeer scheint und Rocca di Papa herüberdräut, als sei dort der Eingang zu jenem düsteren Ort, wo der Eintretende jede Hoffnung hinter sich lassen muß — schön ist es immer!
Wer auf Tusculum die Sonne uuter- gehen sah, vergißt es nie; die wundersame Welt jedoch, die dort droben der Mond aus der verschwundenen Stadt macht, diese heimliche, glanzvolle Herrlichkeit mit allen ihren Gestalten und Geistern darf nur ein Dichter verrathen. Droben wird sie von italienischen Nachtigallen besungen.
Doch machen wir weiter den Cicerone durch Cicero's Stadt.
Hinter jenem Trümmerfall erstrecken sich die Ruinen eines Palastes. Uuaus- gegraben und wieder zugeschüttet, versunken und halb versinkend, zusammeu- gestürzt und zusammeustürzeud, so liegt es da: eine lange Reihe von Gängen, Kammern, Gemächern. Viele der Räume, die schönes römisches Netzwerk umzieht, sind dunkel wie Höhlen. Hirt und Jäger Hausen darin, der Bandit, Gesindel aus Subiacco und Sora. Ueber diesen Ruinen zu gehen, ist gefährlich: die schönsten Blumen stehen hier, das üppigste Rankenwerk, hohe Binsenbäume, mit zahllosen schmetterlingsähulicheu, leuchtenden Blü- then bedeckt. Plötzlich weicht der Boden unter den Füßen, und man stürzt tief hinab. Im nächsten Frühling blühen dann über dem Grabe des Verschütteten wieder die Blumen.
Die wilde, melancholische Stätte durchirrend, gelangt man endlich auf den Rücken des Hügels, zugleich ans seinen einzigen ebenen Platz.
Hier begegnen dem einsamen Wanderer die Vogelsteller, die Kaninchenjäger, der Butero auf seinem kleinen, langmähnigen und langschweifigen Renner. Des Reiters schwarzer Mantel wallt über den Rücken des Thieres, er treibt es an mit seinem langen, spitzigen Stab. Der breitkrempige Hut ist tief in die braune Stirn gedrückt, unter buschigen Brauen blitzen schwarze, kühne Augen. So galoppirt er vorüber.
Das sind Gestalten aus Tusculum.
Auch der junge Hirt gehört dazu. Er