Heft 
(1881) 296
Seite
257
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Die Generation von 1830 in der französischen Poesie.

Bvn

Georg Brandes.

giebt in jedem Jahrhundert ^ der Geschichte eines Landes Perioden, wo die Werke der Literatur sparsam erscheinen und wo die Schriftsteller wie vereinzelt ^ dastehen, ohne gemeinsame Ziele zu ver­folgen, ohne sich in Gruppen zu ordnen, ohne Schulen zu bilden. Solche sind öde, unfruchtbare Strecken in der Geschichte des geistigen Lebens. Und es giebt an­dere Epochen, wo die Werke sich fast drängen, wo die Schriftsteller scharen- oder gruppenweise hervortreten und wo innerhalb eines engen Zeitraumes eine ganze philosophische oder dichterische Ent­wickelung stattfindet.

So sehen wir z. B. einen Zeitraum von kaum vierzig Jahren die große philo­sophische Epoche Deutschlands mit Kant, Schelling, Fichte, Hegel, Krause, Schopen­hauer und Herbart umspannen. Das Erd­reich und die geistige Atmosphäre war augenscheinlich damals der Entfaltung des deutschen philosophischen Gedankens gün­stig. Und so sehen wir in Frankreich nach vielen zersplitterten dichterischen und schriftstellerischen Bestrebungen um das Jahr 1830 eine literarische und künst­lerische Bewegung sich mit Gewalt einer Menge jugendlicher Gemüther bemächtigen. Die Früheren erscheinen, von dem Stand­punkt ihrer Leistungen gesehen, als Vor­läufer; die Späteren ähnlicher Richtung als Nachzügler. Der kurze Zeitraum der höchsten Blüthe läßt sich mit dem schmalen Erdgürtel vergleichen, wo man auf einem

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Berge Wein baut; weiter nach unten werden die Trauben noch nicht gut, höher hinauf sind sie nicht mehr gut. Hier ge­deihen sie.

Wie es ein Erdreich und eine Tempe­ratur giebt, die den Trauben vortheilhast sind, so giebt es einen psychologischen Zu­stand, der einer gewissen Philosophie und gewissen Kunst günstig ist.

Sehen wir uns denn die poetische Ve­getation von 1830 und die Bedingungen derselben etwas näher an.

Das französische Geschlecht, das zu dieser Zeit sich in den Zwanzigern be­fand, hatte unruhiges Blut in seinen Adern. Die jungen Männer waren Söhne von Revolutionären und von Kriegern, und sie wurden Dichter und Bildner dem Gesetze zufolge, daß der Künstler Sohn des Helden ist, das heißt, daß nach einer Periode großer militärischer und politischer Kämpfe eine Periode geistigen Aufschwungs folgt. Die jungen Leute hatten in ihrer Kindheit von den Männern des Convents und der Schreckenszeit gehört; sie selbst waren Söhne der Richter oder der Ge­richteten. Sie hatten als Knaben an Marengo und Austerlitz, an Moskwa's Eis und die Sonne der Pyramiden ge­dacht. Die Revolution war ihnen zum Mythus von den Giganten und das Kaiserthum zur Legende vom idealen Na­poleon, dem Völkerbändiger und Völker­befreier, geworden. Sie hatten wilde Träume geträumt und traten mit großen Hoffnungen und dem mächtigen Ehrgeiz, e, Bb. VI. Z2. 17