Jllustrirte Deutsche Monatshefte.
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daß das junge Geschlecht sich in den Gefühlen der Freundschaft und Brüderschaft einen Rausch getrunken hatte. Die Gedichte Hugo's an Lamartine, Boulanger, Sainte-Beuve, David d'Angers — die Gedichte Gautier's an Hugo, Jehan du Seigneur, Petrus Borel — die Gedichte Müsset's an Lamartine, Nodier u. s. w., die von Sainte-Beuve an fast alle Koryphäen der Schule, die Artikel von Frau de Girardin, die Dedicationen Balzae's sind Zeugnisse einer aufrichtigen Bewunderung, die den sprüchwörtlichen Neid der Poeten nicht aufkommen ließ.
Sie verherrlichten sich nicht allein, sie halfen einander. Emile Deschamps zeigt Hugo den Weg zur poetischen Behandlung des spanischen Romancero; Gautier schreibt das schöne Tulipansonett in Balzae's „IIn A-runä llommk cts provinoa ü Usris" und hilft ihm seine theatralischen Stoffe dra- matisiren; Sainte-Beuve liest die Manu- scripte durch für George Sand; sie und Muffet lassen zu einem gegebenen Zeitpunkt ihre Inspirationen sich an einander entzünden; Mörimse endlich verbindet die Realisten Beyle und Vitet mit dem eigentlich romantischen Lager.
Die kurze Zeit, wo sie Alle sich begegnen, ist die Blüthezeit der poetischen Literatur. Nicht viele Jahre später ruht Nodier in seinem Grabe, Hugo sitzt, aus Frankreich verwiesen, auf Jersey, Dumas treibt lite- räre Industrie, Sainte-Beuve und Gautier werden in den Kreis der Prinzessin Mathilde hineingeflochteu, Mörimae prä- sidirt bei den Liebeshöfen der Kaiserin Eugänie, Müsset brütet einsam über das Absinthglas gebeugt und George Sand hat sich nach Nohant zurückgezogen.
Jeder für sich ging in reiferen Jahren neue Verbindungen ein und entwickelte sich dadurch, aber das Kühnste und Frischeste, wenn auch nicht immer das Feinste und Schönste leisteten sie zu der Zeit, da sie sich Rue Notre Dame des Champs in jenem Hause trafen, wo Hugo und seine junge schöne Frau mit ihren 2000 Francs Pension Haus hielten, oder in der Dachstube Petrus Borel's, wo der spanische Hernani-Mantel des Wirths die Wand mit einer Skizze von Däveria und einer Copie nach Giorgione theilte, und wo die jungen Romantiker sich halb stehend, halb hockend versammelten,
denn zum bequemen Sitz war der Platz zu eng.
Diese jungen Männer fühlten sich als Verwandte, Verschworene, und so erhielten ihre Werke ein gemeinsames Aroma, einen Duft wie den, welchen edle Weine haben, die aus einem Jahre stammen, wo die Weinernte besonders vorzüglich gelang. Und mit diesem Bouquet von 1830 läßt sich vielleicht kein anderes in unserem Jahrhundert vergleichen.
Man suchte und begehrte in allen Künsten Bruch mit der Convention. Die innere Flamme sollte die musikalischen Formen durchglühen und befreien, die Linien und Contouren verzehren und das Gemälde zur Farbeusymphonie gestalten, endlich die Dichtkunst verjüngen. Man suchte und begehrte in allen Künsten Farbe, Leidenschaft und Stil; die Farbe so energisch, daß der genialste Maler des Zeitalters, Delacroix, die Zeichnung über sie versäumte; die Leidenschaft so heftig, daß Lyrik und Drama Gefahr liefen, in Fieber und Krampf sich zu verlieren; den Stil mit einer so absoluten Kunstbegeisterung, daß bei Einzelnen der Jungen, wie den beiden Gegensätzen Mörimee und Gautier, die poetische Humanität in lauter Stil aufgiug.
Der Romanticismus war von Anfang an ein localer Befreiungskrieg. Man bekämpfte das unechte Antikisiren, die auf der Bühne ewige Familie Agamemnon's, das langweilige und einförmige Gallisireu aller Zeitalter und Völker. Man sprach die Losung Localfarbe aus. Es gebe keine Menschheit im Allgemeinen zu schildern. Es gebe Racen und Stämme, Völker und Clane. Noch weniger sei der Franzose der Universalmensch. Es gelte aus sich herauszugehen, um die Menschenwelt zu verstehen und darzustellen. Mit dieser Losung war der Stoß zu der ganzen Kunst, Kritik und Geschichtschreibung Frankreichs in diesem Jahrhundert gegeben.
Und jetzt versuchte man das Publikum für diesen neuen Gesichtspunkt zu erziehen. Alan schrieb nicht, um dem Publikum zu gefallen; und das ist es, was den Büchern dieser Periode ihren Werth giebt. Denn das steht fest: sobald der Schriftsteller nicht zu den tiefsten Schichten der menschlichen Seele hinuutergestiegeu ist, sein