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wünschte Naturwahrheit, aber meinte sie durch Zusammenzwingen der äußersten Endpunkte des Natürlichen erringen zu können; er brachte das Thier und die Schönheit, Quasimodo und Esmeralda in einem Werke, Courtisanenthum und reine Liebe, die Mordsucht Lucretia Borgia's und zärtliches Muttergesiihl in einem Herzen zusammen. Die Natur war ihm — echt romantisch — der große Ariel-Caliban, die Summe einer übermenschlichen Idealität und eines unnatürlich thierischeu Wesens, die Summe zweier Unnatürlichkeiten.
Und ähnlich wie Hugo ergeht es den Anderen. Sie Preisen die Natur. Was sie aber unter den Namen des Gewöhnlichen, ^ des Alltäglichen, des Prosaischen, des nur Wirklichen schmähen und fliehen, das ist eben die einfache, nahe liegende Natur. Nur die romantische ist ihnen lieb. Aus dein Lande der harten Wirklichkeit entflieht George Sand in das Reich der schönen Träume; Theophile Gautier in das Reich der schönen Kunst. George Sand ließ in „Lälia", Balzac in „Päre Goriot" den idealen oder allmächtigen Galeerensclaven die Gesellschaft richten; ja Balzac schrieb phantastische Legenden in Hosftnann's Art. Und wie sie in ihren Gestalten das Gewöhnliche, einfach Natürliche scheuen, so noch weit mehr in dem sprachlichen Ausdruck. Es entwickelte sich eine pompöse Rhetorik, welche diejenige der elassischen Zeiten weit hinter sich ließ. Man steckte ebenso gern dem Substantiv wie dem Helden einen Federbusch an den Hut. Malende, schwärmerische Adjective, die in überschwänglicher Zahl wie Juwelen in den Prosastil eingefügt wurden, eröffneten jeden Augenblick unendliche Perspective. — Die Diction wie die Ideale dieser Jugend waren romantisch.
Sind nun aber diese Franzosen romantisch in demselben Sinne des Wortes, wie deutsche und englische Dichter es gewesen sind? Nein, im Vergleich mit ihnen sind sie kaum so zu nennen; ihr Racencharakter stand diesem Romanticismns im Wege.
Denken wir einen Augenblick an Werke wie Shakespeares „Sommernachtstraum" oder wie der zweite Theil von Goethe's „Faust", so sehen wir sofort, daß diese Art von Romantik den Franzosen verschlossen ist.
che Monatsheft e.
Die leichte, freie, lustige Phantasie, die alle Gegensätze der poetischen Erfindung vermischt, die Wirkliches und Unmögliches, Nahes und Fernes, Gegenwart und graues Alterthum durch einander vorführt, die Blumen aller Weltgegenden in ein Bouquet bindet, Göttliches und Menschliches, volksthümliche Legenden und tiefsinnige Allegorien zn einem symbolischen Ganzen vereinigt, diese eigentlich romantische Poesie war ihnen verweigert. Den Tanz der Elfen sahen sie nie und hörten nie die zarte Melodie ihrer Reigen. Sie waren Lateiner, sie fühlten wie Lateiner, sie dichteten wie Lateiner; und wer lateinisch sagt, der sagt classisch.
^ Unter den Händen Victor Hugo's und Dumas' bildeten wie in der elassischen Tragödie die Extreme symmetrische Con- traste. Ordnung, Maß, aristokratische Feinheit bestimmten bei Beyle, Nodier, Mbrimöe ganz wie bei den Classikern des vorigen Jahrhunderts die poetische Form. Das romantische Drama Hugo's war ab- strahirend, regelmäßig geordnet, über- schanlich, rhetorisch wie eine Tragödie von Corneille.
Ja, in Hugo, der Corneille zu bekämpfen scheint, lebt Corneille wieder ans. Seine spanische Hidalgohaltung erinnert lebhaft an den alten Dichter. Lateinische Racenzüge sind ihnen gemeinsam. Zn Corneille's Zeit war die spanische Literatur die herrschende in Europa, und das Drama, dem Corneille seinen Ruhm verdankt, ist „Cid", in dem ein spanischer Stoff in spanischem Geiste behandelt ist. Hugo, der seine Kindheit in Spanien verbrachte, hatte tiefe Eindrücke von Volk und Land empfangen, und das Drama, mit welchem er durchdrang, ist „Hernani", spanisch durch den Stoff und den an Calderon erinnernden Cnltus der Ehre. Was in beiden Dramen gelehrt und getrieben wird, ist der reine Heroismus; sie sind Schulen für Helden.
Es ist das typische Werk der Zeit, „Hernani", das zu dem großen Entscheidungskampf zwischen der Generation von 1830 und der älteren Anlaß gab, das hundert Abende nach einander ausgezischt, von jungen Enthusiasten, die nicht müde wurden, um ihres Häuptlings willen jeden Abend dieselben Verse zu hören und zu applaudiren, Zeile für Zeile gegen den