Brandes: Die Generation von 1830 in der französischen Poesie. 265
einem Rubenshut und bloßen Händen, Einer in einer Jacke von hellrothem Alias. Sie haßten das große bürgerliche Philistertum, wie Hernani die Tyrannei Karl's V. haßt. Sie fühlten sich, auch sie waren freie Räuber in den Bergen, arm, stolz, Einer mit republikanischen Träumen im Herzen, die Meisten mit einem wahren Cultns der Kunst; da standen sie, fast lauter Genies, Balzac, Berlioz, Gautier, Gerard de Nerval, Petrus Borel, Preault, und maßen mit den Augen ihre Gegner voll derselben Generation. Das fühlten sie, sie wenigstens waren nicht Stellenjäger wie jene anderen; sie waren das Geschlecht, das wenige Monate nachher die Julirevolution machte und in den nächstfolgenden zehn Jahren Frankreich eine Literatur und Kunst ersten Ranges gab.
So sahen sie den Helden Hernani an. Und was sahen sie in der anderen Hauptgestalt, in König Karl V.? Er ist anfangs odiös. Die Liebe des kalten, klugen Herrschers zu Donna Sol widert den Zuschauer an, weil er es nicht verschmäht, rohe Gewalt anzuwenden, um die Geliebte zu erobern. Aber der Dichter hat es verstanden, ihn steigen zu lassen. In seinem Riesenmonolog an der Gruft Karl's des Großen, der an jenem ersten Abend das Schicksal des Dramas entschied, fühlen wir, wie ein großer Ehrgeiz seine Brust erfüllt.
Als König hat er noch kleinlich denken können, als Kaiser nicht mehr. Die Königskrone hat er geerbt, zum Kaiser wird er erwählt. Als erblich sind die Staaten dem Zufall unterworfen, aber, sagt er, die Wahl der Kurfürsten ist das Mittel, dessen Gott sich bedient, um den Völkern zu helfen, und so hat durch die Wahl bisweilen das Volk seinen Kaiser.
Das war aus den Herzen der jungen Generation geredet, die das Volksthüm- liche anbetete und gewohnt war, in dem Kaiser, in Napoleon, das personisicirte Volk zu sehen.
„Wenn eine Idee," sagt Karl, „die aus dem Bedürfuiß der Zeit geboren ist, von den Königen geknebelt und unterdrückt wird, so nimmt der Kaiser sich ihrer an, und die Könige sehen Plötzlich die Idee, die kürzlich Sclav war, hoch über ihren königlichen Häuptern mit der Weltkugel
Haß, die Wuth, die Uebermacht der Geg- ; ner, vertheidigt und stürmisch zum Sieg ^ geführt wurde. Wir werden in dem ein- ! zelnen Werke die gesammten Ideale und! Tendenzen der jungen Generation finden können.
Es giebt in diesem Stück kein Gefühl, das nicht zum Bersten gespannt ist. Der Held ist genial und edel, wie man sich zu zwanzig Jahren Genialität und Edelmuth denkt. Er ist so genial, daß er als Räuberhänptling lebt, und er verachtet in dem Grade schlau zu handeln, daß er aus lauter Seelenhoheit jeden Augenblick sich selbst verräth. Er bedeutet romantisch den Krieg gegen die Gesellschaft, er ist der Flammenmensch, der, vom Schicksal gezeichnet, seinen verhäng- nißvollen Weg gehen muß.
Aber dieser politische und ideale Bandit, der an der Spitze einer treuen und begeisterten Bande steht — er erinnert zugleich an den Dichter selbst, der in der Literatur vogelfrei war wie er es im Leben, und der Parquet und Galerie an eine Schar junger Männer vertheilt hatte, deren Aussehen und Costüme kaum weniger irregulär waren als die seines Räuberhaufens. Denn sie trugen lange Haare und Vollbart, spanische Mäntel zu wollenen Jacken, Robespierre-Westen zu Baretten aus Heinrich's III. Zeit.
Ihr Fanatismus für Hugo war kaum geringer als der der Räuber für Hernani. Sie hörten von der Bühne ihren eigenen Trotz und Unabhängigkeitstrieb, ihren Mnth und ihre Hingebung, ihre ideale und erotische Sehnsucht einige Töne höher gestimmt, und ihre Herzen schmolzen durch das, was sie hörten.
Es war ja im Februar 1830, fünf Monate vor der Julirevolution. Frankreich war wie die Gänge des Versailler! Gartens regulirt, von Greisen regiert, die i keine anderen jungen Männer beschützten als die, welche in der Schule lateinische Verse zur Vollkommenheit geschrieben hatten und sich später durch untadelhafte Correctheit zu Aemtern und Stellungen würdig gemacht. Da saßen sie, correct, wohlgekleidet, rasirt, mit ihren Binden und Vatermördern.
Und nun als Gegensatz diese Jugend in dem Parquet, Einer mit Haaren die bis zum Gürtel hinabhingen, Einer mit