Heft 
(1881) 296
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Jllustrirtc Deutsche Monatshefte.

in der Hand und der doppelten Krone um die Stirn." Der Gruft des großen Karl gegenüber reift Carlos zu einem Volkskaiser der Art, wie die Ge­schichte einige gesehen hat, und die heftigen Leidenschaften seiner Seele werden durch die Sehnsucht geläutert, ungeheure Auf­gaben zu lösen und unerhörte Thaten zu vollbringen. Er, der zuerst so tief unter Hernani und Donna Sol zu stehen schien, endigt als Kaiser damit, zu versagen und zu schonen, und mit einem Schlage werden die beiden Liebenden neben ihm klein und unbedeutend in ihrem Glück.

Mit der Hand auf der Brust sagt er still zu sich selbst:

So erlisch denn, du mein junges, mein flammendes

Herz!

Laß den Kopf herrschen, den du immer störtest; Deine Gebieterinnen, deine Geliebten, ach! das sind

von jetzt an

Deutschland und Spanien und Flandern.

Und mit einem Blick aus das Reichs­banner fügt er hinzu: Der Kaiser ist seinem Begleiter, dem Adler, ähnlich; an der Stelle des Herzens hat er ein Wappen­schild.

Eine solche Replik schlug in jene ehr­geizige Jugend ein. Das Drama des Ehrgeizes, die Tragödie des Ehrgeizes ergriff sie ebenso stark wie das Schau­spiel des Unabhängigkeitskampfes. Sie wußten als Künstler, als Geister, daß der männliche, auf große Ziele und histo­rische Ausgaben gerichtete Wille nur da­durch sich das Leben erhält, daß er mit den feinsten Gefühlen und Genüssen, der feinsten Sehnsucht der Seele genährt wird, die auf dem Altar des Zweckes ge­opfert werden und in Flammen anfgehen und so wurde auch Carlos verstanden.

Doch der fünfte Act war durch seinen rein lyrischen Charakter, durch den Wech­selgesang zwischen den beiden Liebenden

das Juwel des Stückes. Hier kam die Liebe zu Worte, wie die romantische Jugend sie dargestellt zu sehen wünschte. Keine Galanterie wie im achtzehnten Jahr­hundert, kein seraphisches Gefühl wie bei Lamartine, eine Leidenschaft, die zugleich sublim und tigerartig wild war.

Dieses Gespräch auf der Schwelle der Brautkammer, welche die Liebenden nie betreten werden, diese Mischung von allem Entsetzen der Vernichtung und von einem Glück, das so groß, so ernst ist, daß es, wie Hernani sagt, Bronzeherzen erfordert, um sich hineingraben zu können, diese Sinnlichkeit, die in ihr so keusch und musikalisch, in ihm so rein und glühend, in Beiden selig ist, diese überirdische Schwärmerei bei Donna Sol und dies Bedürfniß, die Vorzeit über dem Frieden des Augenblicks zu vergessen, bei Hernani das war Romantik, wie die Jugend von damals sie forderte und sie mit donnerndem Beifall begrüßte.

Hernani" ist als Drama höchst unvoll­kommen, es ist ein lyrisch-rhetorisches Werk mit vielem Ueberspannten. Aber es hat den Vorzug, der der entscheidende ist: eine Menschenseele, die selbständig und bedeutend war, hat sich hier rücksichtslos ausgesprochen. Es ist möglich, aus einem solchen Werk einen wesentlichen Theil der Psychologie seines Verfassers herzuleiten. Wir haben hisr seine Ideen über Frei­heit und Macht, über Ehre und Hoheit, über Liebe und Tod. Das Werk enthält ferner nicht nur Victor Hugo und ein Stück Spanien von 1519, sondern die zeitgenössische junge Generation und ein großes Stück Frankreich von 1830. Her­nani ist in einer Essenz französische Jugend aus der Zeit der Julirevolution, ein Bild von Frankreich, das, in einem romantischen Licht gesehen, sich zu einem geträumten und gedichteten Weltbilde erweitert.