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Grosse:
„Daß nicht Alles so ist, wie es sein sollte, sah ich gleich — aber ich dachte, das sei eine flüchtige Verstimmung, wie sie zwischen Liebesleuten vorkommt. Ein Gewitter, nach dem die Luft desto reiner wird. Und weiter ist es auch nichts — laß der Zeit ihr Recht, und Alles kommt wieder in das Geleise."
„Nein, lieber Bruder, eine Laune ist es diesmal nicht, wie oft soll ich es wiederholen. Du siehst ja meine Thränen."
„Nun, bei allen Hasen, was ist's sonst?" rief der Major mit komischem Ingrimm und nahm in heftiger Weise wieder Platz. „Also heraus mit deinen Gründen — oder hast du keine?"
„Gründe, hundert für einen," sagte Valesca und beruhigte sich allmälig, „aber es ist nicht leicht zu sagen. Sieh, als ich in Italien war, befand ich mich wie in einer anderen Welt, losgelöst von allen heimischen Verhältnissen und unter anderen Lebensbedingungen. Dort ist ein Gelehrter ein Riese, aber seit wir nun wieder hier sind in unserer Gesellschaft, da kommt es mir vor, als ob er so zu sagen zusammenschrumpfe."
„Nonsens, liebste Valesca, das verstehe ich nicht."
„Weil du nicht dabei warst, weil du ihn nicht kennst. Zuerst fiel es mir ans, als wir unser Gut besuchten in Willmers- roda und Visiten machten in der Nachbarschaft. Daß er in der Landwirtschaft ein Neuling und den Verwalter belehren wollte über die Rinder des Helios, das war nur ein komisches Intermezzo, aber in Gesellschaft. Du kennst ja die Bardenfelds, unsere lieben Nachbarn. So viel sie sich auch Mühe gaben, es war Alles vergeblich, den Professor auch nur zu beschäftigen. Whist und Tarok sind ihm fremd; nun, das wäre zu verzeihen. Er fährt weder, noch reitet er und haßt sogar die Jagd, ich glaube, er fürchtet sich vor aller Art Waffen; auch das wäre zu er-
Valesca.
tragen, obgleich es nicht schön war, daß er sarkastische Bemerkungen machte über das Duell und den Begriff der Standesehre, so daß ihn die Bardenfelds schließlich belächelten und von oben herab behandelten, was er nicht einmal zu merken schien; aber es kam immer schlimmer. Man sprach vom Hof und vom letzten Kriege, wo der General, der Schwiegervater Bardenfeld's, die Schlacht entschied. Nun stelle dir vor, wie Vollmar sich benahm. Er sprach von den Germanen des Tacitus und von Cäsar's Kriegen in Gallien, als wenn unsere ruhmgekrönten Helden ihm ganz uninteressant wären, und der General war inzwischen selbst eingetreten. Ich kann dir meine Verlegenheit nicht beschreiben. Er ist durchaus ein Fremdling in unserer Sphäre. Alle unsere Lebensinteressen sind ihm fremd, mit einem Wort, er ist doch kein Cavalier, und das Ende war, daß er eine traurige Rolle spielte oder, wie du es nanntest: eine hausbackene."
„Das ist freilich schlimm, liebe Valesca, aber das Alles wußtest du in Rom."
„Doch nicht, dort war er ein Heros, aber hier kam der unmoderne Mensch zum Vorschein."
„Ah bah!" rief der Major, „auch solch ein Mann läßt sich erziehen, oder umgekehrt: du wirst dich nach ihm ändern. Wenn dich dort seine Art nicht gestört hat, wirst du für seine Mängel einen Ersatz finden in seinen Vorzügen, in seinem Beruf."
„Ja, wenn wir in Rom lebten."
„Und was hält euch ab. Wenn nicht in Rom, dann in Dorpat."
„Nun und nimmermehr!" rief Valesca mit Leidenschaftlichkeit. „Das ist ja eben der letzte Grund unseres Bruchs, denn ich wollte, er solle den Ruf nicht annehmen. Ich bitte dich, was soll ich in Rußland — in dem traurigen Lande des ewigen Winters, und ebenso in