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Jllustrirte Deutsche Monatshefte.
Rom. Das Vaterland aufgeben für immer, das wirst du mir nicht zumuthen! Italien, so schön und zauberhaft es ist, kann einer deutschen Frau doch nicht auf die Dauer genügen. Und gesetzt auch, ich fände mich dort in Alles, er selbst würde seinen Wirkungskreis vermissen und unglücklich sein."
„Mir scheint, liebe Valesca, du bist eine Selbstquälerin geworden," sagte der Major mit dem Tone des Unwillens. „Eine Frau findet überall ihr Paradies, wo sie ihren Mann glücklich weiß; verzeihe diesen Gemeinplatz — aber freilich gilt er dir nur unter der Voraussetzung, daß du ihn, deinen Erwählten, liebst; das ist die Hauptfrage."
Valesca schwieg auf diese Gewissensfrage einen Moment, dann seufzte sie tief auf. „Was man so Liebe nennt in Romanen, bester Charly, ich weiß nicht, ob das für mich existirt. Ich verehre Vollmar mehr, als ich sagen kann, aber ob das die Liebe ist, von der die Poeten singen, ich weiß es nicht. Die Sprache der Leidenschaft, jene allbezwingende, überschauernde, habe ich niemals von ihm vernommen. Vielleicht existirt sie nur im Reich der Träume, aber nicht in der Wirklichkeit. Ich bin eine Thörin, ich weiß es — aber ich kann es nicht anders ausdrücken, was ich vermisse. Sieh, wir trafen auf jener Reise auch mit einem Jrvingianer zusammen — die langen Haare in der Mitte gescheitelt und jedes Wort voll Salbung —y ich glaube, er war vom Range der Erzengel. Kann man einen solchen lieben? ich weiß es nicht. Und so geht es mir mit Vollmar. Ich bin ein Weltkind und er ein Heiliger; sind wir zusammen, meine ich immer in einer Kirche zu sein."
„Nun, so mache dein Dasein zum Tempel, Valesca. Nimm es mir nicht übel, aber ich vermisse bei dir den rechten Lebensernst. Ich will nicht sagen: du
hast mit deinem Leben gespielt und mit den Herzen der Männer, aber du könntest doch gelernt haben, daß leere Verhältnisse auf die Dauer nicht befriedigen. Die Zeit vergeht, und wer weiß, ob wir ewig zusammenbleiben. Wenn kein Widerwille in dir vorhanden gegen ihn, ist alles Uebrige nur Caprice. Du wirst bereuen, dein Glück und deinen Beruf auf immer verspielt zu haben. Ich war froh, daß du endlich gewählt hattest, und nun dies Ende — um nichts!"
„Du bist grausam, Charly, höre auf; ich kann deine Worte nicht mehr ertragen!" Und das schöne Weib brach in krampfhaftes Schluchzen aus.
Es entstand eine lange Pause. Der Major ging wieder mit starken Schritten auf und nieder. Eine Art von Mitleid mischte sich in seinen Unwillen, und so ließ er die Bedauernswertste sich ruhig ausweinen.
Endlich erhob sich Valesca und warf sich stürmisch an die Brust ihres Bruders.
„Du hast Recht in Allem und Allem, liebster Charly, wenn ich's auch seltsam finde, daß du so warm seine Partei ergreifst, als wäre ich dir eine Last. Aber deine Andeutung, daß wir nicht znsammen- bleiben, sagt Alles. Du willst mich also wirklich von dir stoßen?"
„Wer in aller Welt sagt das?"
„Sieh, ich mache ja so wenig Ansprüche an das Leben. Muß es denn durchaus geheirathet sein. Die Ehe ist doch nicht das höchste Glück für Alle. Mir war die Freiheit immer das höchste Gut."
„Liebes Kind, denke nicht so gering von den Männern," erwiderte der Major scherzend. „Das könnte auch mich beleidigen."
„O du!" und sie umschlang ihn von Neuem, „ja, wenn er ein Mann wäre wie du — aber wenn ich ihn mit Anderen vergleiche —"