Grosse:
„Aha — also ein Anderer — jetzt werden wir auf den wahren Grund kommen."
„Nein, nein, ich denke nur an dich allein!" rief Valesca mit Innigkeit. „Wir haben jahrelang zusammengelebt. Du bist das Ideal eines Mannes wie keiner. Du weißt Alles, du kannst Alles. Zu dir sah ich von Jugend an hinaus wie zu meinem Lehrer und einzigen Freunde. Ja, wenn er wäre wie du: selbstlos, ritterlich, ein ganzer Edelmann — mit einem Wort, wenn er wäre wie mein Charly, dann gab' es keinen Zweifel und kein Bedenken !"
Der Major lachte kurz auf. „Ich bitte dich, mache keinen Heiligen aus mir und keinen Götzen. Aber ist das wirklich der letzte Grund, oder ist es nur ein neuer Vorwand?"
„Nein, Liebster," sagte Valesca mit einer gewissen feierlichen Wärme. „Wie oft war ich in der Lage, zu wählen, aber mit dir verglichen, hielt kein Anderer Stich — sie verschwanden Alle vor deinem Werth, auch Vollmar — und so mag es beim Alten bleiben!"
„Hm" — der Major wurde ernst. „Das wäre ja ein ganz neuer Conslict — ein Problem, daß Bruder- und Schwesterliebe zum Verhänguiß wird und zum Hinderniß für das Glück. Aber was ist da zu thun? Der Casus könnte tragisch aussehen, wenn er nicht halbkomisch wäre; aber im Ernst gesprochen, liebe Valesca, so kommen wir zu keinem Ende. Wie gesagt, wir können doch nicht ewig zusammenbleiben."
„Was meinst du, Charly?" rief Valesca fast erschreckt. „Du schweigst? Du willst sagen: wenn du einst nicht mehr bist. Das ist weit hin. Du wirst deine arme Valesca gewiß überleben, darauf lasse ich es ankommen."
„Es braucht nicht gestorben sein an Altersschwäche, mein Kind. Für den
Valesca. _ 411
Soldaten steht der Tod immer vor der Thür. Aber es können auch andere Fälle eintreten, die uns trennen."
„Welcher Fall, Charly?" und die schöne Schwester hing sich an den Arm des Bruders. „Ah — du wirst doch nicht selbst auf Freierssüßen gehen? Böser Bruder, mich so zu erschrecken! Das hättest du längst gethan, wenn du nicht als Weiberfeind bekannt wärest. Der Phönix von Frau ist noch nicht geboren, der dich fesseln könnte, und erschiene sie wirklich, ich müßte sie hassen wie meine Feindin! Wenn du ehrlich bist, mußt du es sagen — du hast doch keine lieber als deine Valesca!"
Der Major küßte die Zärtliche, welche sich an ihn schmiegte, auf die Stirn, dann sagte er mit humoristischem Tone:
„Schon gut, liebes Kind, aber was in aller Welt soll daraus werden? Ich kann dich doch nicht heirathen."
„Böser Charly!" und die kleine Hand hielt ihm den Mund zu. „Wozu überhaupt an die Zukunft denken — und wenn man glücklich ist als Bruder und Schwester, wozu braucht es dann einen Dritten oder eine Dritte. Ist Geschwisterliebe nicht reiner und heiliger als jede andere? Du weißt nun Alles, Charly. Du hast mir bittere Wahrheiten gesagt. Nun mache auch Alles wieder gut. Gehe zu Vollmar, er wohnt jenseits des Orts beim Revierförster. Löse unser Band in schonender Weise. Bestimme ihn, abzureisen. So lange er da ist, fürchte ich mich vor ihm und getraue mich keinen Schritt hinaus. Schon heute Morgen gab es einen fatalen Auftritt am Brunnen und vor fremden Augen, und deshalb blieb ich Nachmittags daheim und Hielt mich eingeschlossen. Ich will ihm ja nicht wehe thun, ich will ihn selbst von einer Fessel befreien. — Hier sind alle seine Briefe und kleinen Andenken. Wenn er Alles überlegt, wird er zustimmen. Wir