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Illustriere Deutsche Monatshefte.
angedeutet, geben Sie mir auch den Rest! der Medicin. Meiner strengsten Discre- tion können Sie versichert sein, denn bald schon wird diese Lippe auf immer der- ! stummen. Sorgen Sie nicht, daß ich Hand an mich lege, aber die Natur wird > hoffentlich ihren Dienst thun; ich weiß, daß ich es nicht überwinde. Und nun ' beschwöre ich Sie um das Letzte. Sagen Sie es mir wie einem Bruder: Hat Valesca sich etwas vorzuwersen? Lastet, wirklich eine sittliche Verschuldung aus ihr?
Der Major erschrak abermals vor dem ^ fiebernden, unstäten Blick des Unglück- ! lichen. In der That sah er hier ein Menschenleben auf dem Spiel, und jetzt! erst wurde ihm klar, was der Mißtraui- ! sche schon vorhin meinte — also abermals ^ diese fixe Idee, dies ungeheuerliche Miß- verständniß. Aber gleichviel, wenn dies allein den Phantasten heilen konnte, den er bemitleidete, so war auch das Gift willkommen. Eine wilde, ironische Laune überkam ihn, in welcher er den Schwärmer von oben herab behandelte.
„Mein verehrter Herr," sagte er mit starkem Tone. „Demjenigen, der sich über meine Schwester nur die geringste zweideutige Aeußerung erlauben wollte, würde ich eine Kugel in den Schädel jagen. Verstehen Sie mich! Im klebrigen, wenn es Sie trösten, wenn es Sie retten kann, zu wähnen, Ihre kostbare Neigung verschwendet zu sehen, so denken Sie immerhin, was Sie wollen. Denken Sie: das himmlische Ideal sei höchst irdisch, unwerth einer dantesken Passion, wie Sie sie in Bereitschaft hatten. Die Heiligen compromittiren sich bekanntlich ^ immer, wenn sie sich mit armen Weltkindern einlassen. Denken Sie, Valesca i wäre Ihnen eine Last geworden; denken ^ Sie, Sie selbst würden es bereuen und unerträglich gesunden haben, sich gekettet zu sehen. Denken Sie, was Sie wollen, !
aber kommen Sie zu sich. Schlagen Sie sich die Sache aus dem Sinn. Nehmen Sie den Ruf nach Dorpat an und reisen Sie, lieber heut als morgen. Wollen Sie das?"
Der Professor gab schweigend seine Hand.
„Und dann nochmals Ihr Ehrenwort, daß Sie keinen Versuch wagen, Valesca wiederzusehen oder zu sprechen!"
Der Professor Volkmar schwieg auch jetzt. Sein aschfahles Antlitz trug den Ausdruck tiefsten Leidens, über seine Lippen aber ging ein leises unverständliches Wort. Es lautete beinahe wie: „Also dennoch compromittirt!"
Beide Männer waren inzwischen wieder zum Ausgang des Kirchhofes gekommen. Der Augenblick nahte sich, in dem sie von einander scheiden mußten.
„Noch Eines, mein Herr Professor," sagte der Major. „Wie gesagt, ich gestatte Ihnen, zu denken, was Sie für wünschenswerth halten. Gedanken sind zollfrei, und der ärgste Ketzer in einer frommen Gemeinde kann kein Aergerniß geben, wenn er zu schweigen weiß. Also schweigen für immer und gegen Jedermann! Hier sind auch Ihre Briefe und kleinen Andenken. Lassen Sie mir die Valesca's sobald als möglich zukommen. Adieu. Keine Versicherungen weiter. Schade, daß wir uns nichts Erfreulicheres zu sagen hatten. Genesen Sie und vergessen Sie. Leben Sie wohl und halten Sie Wort. Auf Wiedersehen vielleicht in besseren Zeiten!"
Und mit raschen Schritten verließ er den Schweigenden, der eine Weile lang oben an der Mauer des Kirchhofs sichtbar blieb, während die „Zügenglocke" der Capelle von Neuem läutete.
Der Major setzte inzwischen seinen Weg zwischen Erlen und Stauden fort, um zur „Alpenrose" zu gelangen.
„Ei was," sagte er zu sich selbst.