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Jllustrirte Deutsche Monatshefte.
auch kein bloßer Vorwand, daß sie wegen „Indisposition" plötzlich aufbrach und eilig in ihre Villa znrückkehrte. Da sie aber auch dort vor Besuchen nicht sicher zu sein glaubte, beschloß sie, eine Ausfahrt nach dem berühmten Kloster Werneck zu unternehmen, vier bis fünf Stunden weit südlich im Hochgebirge.
Zu diesem Zweck wurde der alte Habermann zur Posthalterei geschickt, um einen Zweispänner zu bestellen — auch zum Major, um ihn zur Mitfahrt einzuladen.
Der alte Mann kam nach geraumer Weile mit einer verworrenen Antwort zurück: er habe nicht ankommen können, aber der Herr Major würde sich um zehn Uhr einfinden.
Comteß Valesca, welche die Aengstlich- keit und Menschenscheu des alten Dieners kannte, begab sich nunmehr selbst zur Posthalterei, um ihren Wünschen Gehör zu verschaffen, aber sie kam mitten in eine tumultnarische Scene hinein. Es sei gestattet, den Leser vorher etwas zu orientiren.
Das Posthaus Sonnensee liegt in der Mitte der lang hingestreckten Ortschaft, nur durch die breite Landstraße vom unmittelbaren Ufer des Sees geschieden. Hinter dem einladenden, uralten Hanse erhebt sich ein weitläufiger Berggarten mit weinbewachsenen Terrassen und Laubgängen, aus der obersten Höhe ein sogenannter Schirm, das heißt ein rundes Wetterdach, daneben ein Winzerhäuschen, in welchem außer Gartengeräthschasten auch Fernröhre und Fahnen mit Reichsund Landesfarben aufbewahrt werden.
Der greise Posthalter Kaltenmoser ist als ein energischer Mann, aber auch als volksthümlicher Grobian bekannt und beliebt. Mit der letzten Post ist ans den Hochlanden eine Menge von Fremden angekommen, theils nach Beendigung ihres Sommeranfenthalts, theils durch die Aen-
derung des Wetters verscheucht. Nun drängen sie alle zugleich auf Weiterbeförderung zur nächsten Bahnstation.
In der Regel konnte man diese auch zu Schiff erreichen, aber daran ist heute nicht zu denken. Kein Schiffer wagt, bei dem ab und zu tosenden Sturm den wilderregten See zu befahren.
Posthalter Kaltenmoser seinerseits behauptet, keine Pferde mehr zu haben, vielleicht um schließlich die üblichen Taxen etwas hinaufzuschrauben.
„Was wollt's!" rief er. „Die Passagiere von Schloß Heidenheim haben auch warten müssen. Allen kann man's nicht recht machen. — Es ist, um die Haare sich anszuranfen und die Wand hinanfzulanfen. Die verdammte Eisenbahn! Mag die Direction selbst für Pferde sorgen und Wagen. Früher war Fuhrwerk genug da bis zur Stadt — aber die ehrlichen Leute sind alle rninirt von der Bahn, und Unsereiner auch. Ich Hab' keine Pferde! — Macht, was ihr wollt!"
Auf so unfreundliche Worte blieben auch unhöfliche Antworten nicht ans, und der Tumult vor dem Posthanse wuchs mit jeder Minute.
Um dem Gedränge zu entgehen, entwich Comteß Valesca in den großen Saal des Erdgeschosses, wohin sich auch andere Damen lind Passagiere geflüchtet hatten.
Beim ersten Blick meinte sie in den Boden sinken zu müssen.
Wer stand dort an den großen Ofen gelehnt, in den Plaid gewickelt und eine Cigarre rauchend? War das nicht Professor Vollniar?
Valesca fühlte ihr Blut erstarren und hatte kaum noch die Besinnung, die nächste tiefe Fensternische zu erreichen, wie sie hoffte, unbemerkt. Was sollte sie thnn? Ans dem Saal führte zwar noch eine Nebenthür in ein Hinterzimmer und von dort durch die Kegelbahn in den Garten,