Heft 
(1881) 298
Seite
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Grosse:

aber auf diesem Wege mußte sie an dem Gefürchteten vorbei. Durch die Hanpt- thür wieder das Freie zu gewinnen, war unmöglich, denn sie war von dem Gedränge versperrt.

Umzusehen wagte sie sich nicht, aber sie fühlte es, daß Vollmar's Blicke auf ihr ruhten. Jetzt sprach er mit einem Geist­lichen aus Kloster Wertteck, dann begann er ein Gespräch mit Gräfin Binsenreuth, die gleichfalls anwesend war.

Balesca fühlte so zu sagen den Boden unter sich brennen; sie wollte wieder die breite Ausgangsthür gewinnen, aber sie vermochte nicht, sich zu bewegen; eine Art Lähmung hatte sie befallen, als wäre sie zu Stein verwandelt.

Jetzt hörte sie seine Stimme in größe­rer Nähe, sie fühlte abermals seinen Blick, und jetzt mußte der Augenblick kom­men, wo er sie anreden würde. Zwar zitterte sie bei diesem Gedanken und über­legte schon, ob und was sie wohl antwor­ten solle sie hoffte, ja vielleicht wünschte sie sogar eine Annäherung, um nicht län­ger fremden neugierigen Augen das be­fremdliche Schauspiel gegenseitiger Nicht­beachtung zu geben; aber was sie hoffte und wünschte, geschah nicht. Vollmar's Stimme war verstummt.

Als sie jetzt, muthiger geworden, sich wandte und aufsah, war der Professor verschwunden.

Mühelos gewann Balesca allmälig die erwähnte Scitenthür und floh durch das Nebenzimmer in den Baumgarten hinaus, der zu dieser Stunde menschenleer war. Der Regen hatte nachgelassen, und der kühle Herbstwind trieb sein Spiel mit den welken Blättern. Aus der Ferne klang das Rauschen des Sees herauf und das undeutliche Gewirr von immer noch er­regten und streitenden Stimmen.

Balesca fühlte sich wie von einem bösen Alp befreit, aber dennoch blieb eine dunkle Angst in ihr zurück, als könne

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! auch hier jeden Augenblick der Gefürchtete ! hinter dem nächsten Busch hervortreteu.

! Wohin sollte sie dann flüchten?

! Glücklicherweise erinnerte sie sich, daß sie gestern ihr Spitzentuch droben unter ! dem Wetterdach am Winzerhäuschen lie- j gen gelassen haben müsse. Dort auf der ! abgelegenen einsamen Höhe war sie sicher. Sie blickte hinauf. Es schien zwar ein Fremder oben anwesend, der mit dem Fernrohr die weite Gegend musterte, aber der konnte sie nicht stören.

Entschlossen schritt sie zwischen Büschen j und Bäumen von Terrasse zu Terrasse,

^ ja sie kürzte den Weg über schmale ver- ! fallene Steintreppen, die direct zur Höhe

> führten. Jetzt war sie oben, und richtig,

! ihr erster Blick fiel aus das Spitzentnch,

das noch aus der eisernen Bank unter dem Schirmdach lag.

Aber diese unbewegliche Gestalt mit , dein wehenden Plaid und mit dem Fern­rohr vor den Augen? Himmel und Erde!

! war das nicht abermals Vollmar, der Gefürchtete?

Balesca fühlte sich wie von einer eis- ^ kalten Faust berührt und stand unbeweglich.

Hatte der Professor ihr Nahen bemerkt ! und wollte sie absichtlich ignoriren? Eine ! solche Insolenz wäre nicht zu ertragen! Sollte sie wieder umkehren oder sollte sie bleiben? Aber ihr Spitzentuch! Wenu ! er es nun fände, würde er es ihr brin­gen? denn er konnte es wohl an der ge­stickten Krone und ihrem Namenszug er­kennen. Oder würde er es als Andenken behalten oder vielleicht gar liegen lassen?

> Das Eine so unerträglich wie das Andere.

Bester war es jedenfalls, sie entwich; die Ehre wie die Schicklichkeit gebot, jede weitere Begegnung zu vermeiden.

Aber im Moment, als sich jetzt Balesca wandte, erfaßte der Wind ihren leichten breitrandigen Strohhut und drohte ihn zu entführen; wohl erhaschte sie den Flücht­ling noch mit der Hand, vermochte aber