Heft 
(1881) 298
Seite
444
Einzelbild herunterladen

444

Jllustrlrte Deutsche Monatshefte.

auf unsere eigenen gesellschaftlichen Zu­stände und auf den sogenanntenUnter­schied der Stände", welcher ja gewiß nicht bloß Folge einer einfachen gesell­schaftlichen Verschiebung an sich ganz gleicher Individuen, sondern ebenso und vielleicht noch mehr Folge eines schon durch erbliche Anlage bedingten Unter­schiedes der einzelnen Gesellschaftsclassen ist. Freilich kommt es alle Tage vor, daß diese eigenthümliche Schranke von einzelnen Individuen durchbrochen wird, aber in der Regel nicht, ohne daß an dem Emporkömmling etwas aus der niedrige­ren Sphäre, der er seinen Ursprung ver­dankt, kleben bleibt.Geistige Bildung der Eltern," sagt schon der scharfblickende Burdach (a. a. O.),giebt den Kindern eine größere Bildnngsfähigkeit; der junge Wilde ist für die europäische Cultur mit seltenen Ausnahmen unempfänglich oder nimmt bloß den Schein derselben an und - fühlt sich dabei nicht glücklich." Auch die bekannte Erfahrung, daß die soge­nannten Creolenneger in Amerika (d. h. die im Lande selbst geborenen) größere Fähigkeiten oder Anlagen zeigen als die frisch eingeführten, daher auch ehedem als Sclaven besser bezahlt wurden, er­klärt sich leicht ans den Gesetzen der Ver­erbung. Ribot (a. a. O.) führt außer den Juden auch noch die Zigeuner und die sogenannten Cagots in Frankreich als auffallende Beispiele für die Vererbung von Volks- oder Raceneigenthümlich keiten auf.

Nach diesen Nachweisen, die übrigens noch sehr leicht hätten vermehrt werden können, kann wohl nicht bezweifelt werden, daß im allgemeinsten Sinne genommen die Erblichkeit als Gesetz, die Nicht­erblichkeit als Ausnahme erscheint, und daß nicht das Dasein, sondern das Feh­len erblicher Eigenthümlichkeiten unser Erstaunen erregen muß. Jeder einzelne Mensch, wie jedes organische Wesen über­haupt, erscheint als ein mittleres Product seiner Eltern oder seiner Vorfahren über­haupt und als ein Ausdruck aller der­jenigen Einflüsse, welche aus diese theils wegen ihres eigenen Lebens, theils durch Vermittelung von Seiten ihrer Voreltern eingewirkt haben.

Allerdings kommt hierbei ein sehr wich­tiger Punkt in Betracht, der nicht über­

sehen werden darf, ohne Anlaß zu den größten und solgewichtigsten Mißverständ­nissen zu geben es ist der Einfluß der Erziehung sowie der Ausbildung und Anbildung.

Gewöhnlich stehen sich in dieser Hin­sicht zwei Ansichten schroff und scheinbar unversöhnlich einander gegenüber. Die eine will Alles ans Erziehung, die andere Alles aus angeborener Anlage herleiten. Nach der ersteren kann durch Erziehung aus dem Menschen Alles, nach der zweiten Nichts gemacht werden, da die Geburt als das allein Bestimmende erscheint. Einer der extremsten Verfechter der ersten Meinung war im vorigen Jahrhundert der bekannte Philosoph Helvetius, der Verfasser des berühmten Buches ,,8>u- welcher behauptete, daß alle Menschen bei der Geburt vollkommen gleich seien und daß ihre spatere Ver­schiedenheit nur durch die Verschiedenheit der Erziehung und des Lebensganges er­zeugt werde. Auch heutzutage hat diese Meinung trotz ihrer offenbaren Falschheit noch viele Anhänger unter der großen Menge sowohl wie unter Physiologen, Philosophen und Pädagogen. Wenn diese Ansicht richtig wäre, so müßte man durch Erziehung aus einem beliebigen Menschen, einerlei ob er ein Prinzen- oder Baners- sohn, ein Proletarier oder ein den besseren Stünden Angehöriger, ein Wilder oder ein Abkömmling von civilisirten Menschen, ein Europäer oder ein Orientale, ein schwarzer, weißer, gelber oder brauner Mensch, ob er Mann oder Frau sei ja, man müßte, um es möglichst extrem auszndrücken, aus einem Thier alles Mög­liche zu machen im Stande sein.

Die Anhänger der entgegengesetzten Ansicht wollen im Gegentheil nur die an­geborene Anlage gelten lassen und halten ihr gegenüber alle übrigen Einflüsse für mehr oder weniger ohnmächtig. Wer keine Phantasie oder keine angeborene Anlage zum Maler, Dichter oder Künstler hat, sagen die Anhänger dieser Ansicht, wird niemals ein solcher werden, mag er thun, was er wolle. Wer nicht die An­lage zur Entwickelung eines mächtigen Verstandes mit auf die Welt bringt, wird niemals ein bedeutender Gelehrter, Schrift­steller oder sonst hervorragender Mensch werden, mag inan auch an ihm herum-