Heft 
(1881) 298
Seite
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448 Illustrirtc Deutsche Monatshefte.

zu gehen; die atlmälige Gewöhnung der europäischen Jagdhunde an die Eigen- thümlichkeiten der Peccarijagd in Amerika oder der Windhunde an die in großen Höhen über dein Meere anszuführende Hasenjagd in Mexico; die Gewöhnung des Pferdes des spanischen Amerika an den sogenannten Paßgang oder des eng­lischen Schafes an den ihm anfangs verhaßten Genuß der Steckrübe; die Er­ziehung dresfirter Pferde und der Haus- thiere überhaupt zu bestimmten Beschäfti­gungen oder Lebens gewohnheiten. Es ist eine bekannte Sache, daß alle abgerichte­ten oder längere Zeit der Zucht des Men­schen unterworfenen Thiere Junge Her­vorbringen, welche ihrer von den Eltern ererbten Anlage halber leichter erzogen werden können als solche von unabge- richteten, und die Erzieher von Pferden wissen sehr wohl, daß die Jungen von gut dressirten Pferden eine viel größere Gelehrigkeit an den Tag legen als die Nachkömmlinge von weniger gut oder gar nicht dressirten. Bei den englischen Renn­pferden entscheidet über deren Güte eben­sowohl die Abstammung von solchen Thie- ren, welche sich bereits als tüchtige Renner ausgezeichnet haben, wie die Dressur oder Erziehung, und zwar so sehr, daß nian es für der Mühe Werth hält, vollständige Stammbäume dieser Thiere anzufertigen und weiterzuführen. Einzelne englische Rennpferde gaben Hunderten von Wett­rennensiegern der nachfolgenden Genera­tionen das Leben, wofür Darwin (a. a. O. H, S. 14) das Beispiel derEklypfe" und desKing Herod" mit dreihundert bis vierhundert Siegernachkommen an­führt.

Das Hofgeflügel war zur Zeit des Aristoteles noch so wild und zum Davon­fliegen geneigt, daß es nicht anders als unter ausgespanntem Netzwerk gehalten werden konnte, während es heutzutage nur durch die mittelst Vererbung gewon­nene Liebe zur Heimath festgehalten wird. Durch dieselbe Liebe getrieben, findet die Brieftaube ihre entfernte Heimath wieder, nachdem die Einwirkung künstlicher Er­ziehung die von den Eltern ererbte An­lage zur möglichsten Ausbildung gebracht hat.

Solcher Beispiele, bei denen allen es sich nicht um eine stricte Wahl zwischen

Angeboreuheit und Anbildung oder An­passung oder Erziehung, sondern nur um das Mehr oder Weniger des einen oder des anderen Momentes in jedem einzelnen Falle handelt, könnten noch gar viele namhaft gemacht werden.

Wir wissen noch nicht genau, wie weit die Macht der Angeboreuheit oder Ver­erbung in jedem einzelnen Falle sich zu erstrecken oder auszudehnen im Stande ist; aber so viel glauben wir als allge­meines Resultat aus diesen Untersuchungen bezeichnen zu dürfen ein Resultat von höchster Wichtigkeit sowohl für die Thier- wie Menscheupsychologie, daß Alles, was in dem geistigen oder seelischen Leben der Thiere nicht erklärbar ist aus Er­fahrung, Erziehung, Lehre, Beispiel oder sonst aus natürlichen oder naheliegenden Ursachen wie z. B. ans dem bei den Thieren im höchsten Maße ausgebildeten Geruchssinn oder Geruchstrieb auf von den Eltern ererbten geistigen Antageu, Fähigkeiten oder Lebensgewohnheiten be­ruht oder beruhen muß. Dieses ist auch der einzige Sinn, in welchem das früher so viel gebrauchte und vieldeutige Wort Jnstiuct" heutzutage noch genommen werden kann, als eine allmälig entstan­dene, durch Vererbung bleibend gewor­dene Natnranlage oder ein auf gleiche Weise entstandener, durch eine gewisse Disposition des Nervensystems vermittel­ter Antrieb zu zweckmäßigem oder wenig­stens auf Erreichung eines gewissen Zieles gerichtetem Handeln. Jede andere Er­klärung des Jnstincts führt zu heillosen Mißverständnissen und Unbegreiflichkeiten. Auch darf dabei nicht vergessen werden, daß es einen angeborenen Jnstinct nur insoweit giebt, als er von den Eltern er­erbt worden ist, daß aber diese selbst denselben zu irgend einer Zeit, wenn auch erst nach und nach, erworben haben müssen, so daß es eigentlich angeborene Triebe oder Jnstincte in einem allge­meineren Sinne überhaupt nicht giebt, sondern daß Alles, was hierher gehört, im Laufe unendlich langer Zeiträume von den Vorfahren allmälig erwor­ben und dann weitergeerbt worden ist. Angeboreuheit kann daher heutzutage, einerlei in welcher Richtung sie sich er­strecken mag, im nothwendigen Einklang mit der Entwickelungstheorie nur noch