Heft 
(1881) 298
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Büchner: Die Ma

dem Erwerbtrieb, der Faule dem Ruhe- bedürfniß oder der Arbeitsscheu, der Ehr­geizige dem Streben nach Auszeichnung, die Mutter der Liebe zu ihren Kindern u. s. w.

Wichtiger noch als die moralische Ver­erbung und selbstverständlich am wichtig­sten unter allen Arten der Vererbung er­scheint die intellectnelle Vererbung oder die Vererbung von Denkvermögen und Verstand im Zusammenhang mit Gedächt­nis Phantasie, Urtheilskrast u. s. w. Die Möglichkeit der intellectnellen Vererbung ist von vornherein bewiesen durch die bereits öfter besprochene leichte Vererblich­keit der Geisteskrankheiten. Wären wir aber auch nicht im Besitze dieses Beweis­mittels, so würde schon die tägliche Er­fahrung darüber, daß der Jntellect von Eltern auf Kinder übergeht, keinen Zweifel bestehen lassen. Fast bei allen großen Geistern der Geschichte oder sonst geistig hervorragenden Männern oder Frauen ist man im Staude gewesen, uachzuweisen, daß sie geistig bedeutende Eltern hatten oder daß mindestens einer von den beiden Erzeugern geistig bedeutend war, wenn auch der Ruf oder Namen, den sie ge­schichtlich erlangten, nicht im Verhältniß zu ihren Fähigkeiten stand. Ist schon Fähigkeit und Leistung etwas an und für sich sehr Verschiedenes, so steht der Name, den sich der Einzelne durch irgend eine Art der Leistung erwirbt, durchaus nicht im geraden Verhältniß zu seiner Leistungs­fähigkeit, und die meisten Eltern bedeu­tender Menschen, deren intellectnelle Be­deutung mau erst nachträglich erforscht hat, würden wohl ewig unbekannt ge­blieben sein, wenn nicht ihre Kinder oder eines derselben die Stufe der Berühmtheit erstiegen hätte. Wir können übrigens diese Uebertraguug des Jntellects von Eltern auf Kinder nicht berühren, ohne einer Frage zu gedenken, welche bereits aus das vielfachste erörtert und in sehr verschiedenem Sinne beantwortet worden ist der Frage nämlich: ob die intellec- tuelle Erbschaft mehr von dem Vater oder mehr von der Mutter herrühre? Ent­gegen der, wie es scheint, natürlichsten Annahme hat bekanntlich der Philosoph Schopenhauer die bestimmte Behauptung ausgesprochen, daß man den Jntellect von der Mutter, den Willen dagegen mit Ein-

cht der Vererbung.

schluß von Charakter, Leidenschaft, Nei­gung, Gefühl u. s. w. vom Vater ererbe. Wahrscheinlich hat ihm dabei das berühmte Beispiel Goethe's vorgeschwebt, dessen Mutter, dieFrau Rath", eine Frau von eminenter geistiger Begabung war. Viel­leicht dachte er auch an seine eigene Mut­ter, die bekannte Schriftstellerin Johanna Schopenhauer. In der That läßt sich nicht leugnen, daß von einer Anzahl genialer Männer bekannt geworden ist, daß sie von geistig bedeutenden Müttern geboren wurden, während der Vater einen gleichen oder ähnlichen Anspruch nicht erheben konnte. So soll die Mutter Napoleon's I., die bekannte Madame Lätitia, eine Frau von großer Klugheit und zugleich seltener Charakterstärke, aber auch von tyrannischem Sinn gewesen sein. Sie pflegte ihren Gemahl ans den Kriegs­zügen der Corsicaner gegen Genuesen und Franzosen zu Pferde zu begleiten. Auch die Mutter Newton's wird als eine Frau von eminentem Talent geschildert, während der Vater geistig gar nicht hervorragend gewesen sein soll.

Indessen würde man einen großen Fehler begehen, wenn man aus diesen vereinzelten Beispielen einen allgemein gültigen Schluß ziehen wollte, da auch eine nicht geringe Menge von Beispielen namhaft gemacht werden kann, in welchen das Gegentheil stattfand und der Jntellect bedeutender Männer nachweisbar von dem Vater geerbt wurde. So haben die fünf Söhne Anselm's v. Feuerbach, des be­rühmten und philosophisch begabten Cri- minalisten, ihre große Begabung offen­bar alle vom Vater geerbt. Der Sohn Anselm erwarb sich Ruhm in der bilden­den Kunst, K. Wilhelm desgleichen als Mathematiker, Ed. August als Jurist, Fr. Heinrich als Sprachgelehrter, Ludwig endlich als Philosoph. Der große französische Staatsmann Mirabeau hatte in männlicher Linie bis zu Großvater und Oheim geistig bedeutende Vorfahren. Sein eigener Sohn dagegen kam mehr auf seine Mutter heraus und taugte nichts. Der Vater des Dichters Tasso war eben­falls ein Dichter, und die Vererbung dieser Anlage auf den Sohn wurde durch den Einfluß der Mutter noch gesteigert. Auch Schillert Vater war nach neuerdings darüber bekannt gewordenen Nachrichten

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