Heft 
(1881) 298
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Jllustrirte Deutsche Monatshefte.

Mißverständnis^ nämlich, daß Entwickelung und Fortschritt eine gerade und einfache, von jedem einzelnen Punkte aus leicht übersehbare Reihe oder Stufenfolge dar- stellen müßten. Dieses ist aber so wenig der Fall, daß vielmehr eine ganze Anzahl neben einander herlaufender Reihen existirt, von denen sich eine über die andere er­hebt, ähnlich, wie die neben und über einander emporstrebenden Aeste oder Zweige eines Baumes. Man hat, um jenes Verhältniß von Rückschritt und Fortschritt auszudrücken, den letzteren un­ter dem Bild einer allmälig oder langsam sich erhebenden Spirallinie oder einer in geneigter Ebene auswärts steigenden Zick­zacklinie darzustellen versucht; aber viel­leicht besser dürfte das Bild eines Baumes, wobei die aufstrebenden Seitenäste zwar an einer viel tieferen Stelle des Stammes ansetzen, als bis wohin die Spitzen tiefer gelegener Aeste reichen, aber schließlich mit ihren höchsten Spitzen sich weit über jene erheben, geeignet sein, um die man­nigfachen Sonderbarkeiten und Unregel­mäßigkeiten im allgemeinen Gang des Fortschritts zu versinnbildlichen. Freilich ist nicht zu verkennen, daß auf diese Weise der Fortschritt im Großen und Ganzen ^

nur sehr langsam vor sich geht; nament­lich wenn wir uns beigehen lassen, den Fortschritt der Geschichte und des Ge­schlechts an der kurzen Spanne unseres eigenen armseligen Daseins zu messen. Aber was ist Zeit im ewigen Lauf der Natur und Geschichte? Der Einzelne ist diesem Lause gegenüber nichts, das Ge­schlecht Alles; und Geschichte wie Natur bezeichnen jeden ihrer Schritte nach vor­wärts, auch den kleinsten, mit unzähligen Leichenhügeln. Der einzelne Mensch geizt mit der Minute, weil er sein Ende stünd­lich und täglich vor sich sieht, aber im Gang der Weltentwickelung sind Millionen Jahre nicht mehr als für uns ein Tag. Wir kommen und gehen wie Eintags­fliegen; der Weltgeist aber rauscht von Ewigkeiten zu Ewigkeiten und kennt weder Ende noch Anfang. Wir aber, die wir Anfang und Ende kennen, sollen uns die Mühe nicht verdrießen lassen, das kleine Theilchen der Ewigkeit, das wir mit unseren Sinnen und unserem Denken zu umfassen im Stande sind, nach Kräften kennen zu lernen. Darum diese Unter­suchung über eine der wichtigsten Er­scheinungen in der biologischen Wissen­schaft'