Heft 
(1881) 298
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Jllustrirte Deutsche Monatshefte.

auszudrücken. Bei allem Festhalten am Individuellen bleibt die Auffassung ideal, die Ausdrucksleichtigkeit staunenswerth. Keine Unebenheit des Originals fetzt fei­nem Genius Schranken, und er versteht es, bei aller Wahrung der Wahrheit eine Idee durchleuchten zu lassen, wie wir be­reits von seinen Papstbildnissen bemerkt haben. In welche Anmuth er Damenbild­nisse zu kleiden wußte, zeigt uns sein Mei­sterwerk,Johanna von Aragon". War auch das Original bereits schön, durch den Künstler gewinnt es im Bilde eine elastische Weihe. Wir vergessen im Anschauen solcher Bildnisse, daß der schöne Kopf längst schon von der Verwesung verzehrt ist, weil wir die innere, unvergängliche Schönheit so meisterhaft verkörpert finden. So hat der große Urbinate Allem, das seine Kunst berührte, den Stempel der Unvergänglich­keit aufgedrückt.

Daß wir auf unserem Gebiete nicht auch seinem großen Zeitgenossen Michel Angelo begegnen, erscheint im ersten Augen­blick befremdend, ist aber zu erklären. Seinem hünenhaften Geiste, der Himmel und Hölle durchdringt, erscheint die ein­zelne Erscheinung zu klein. Ein Moses, im Bewußtsein seiner hohen Mission der Welt einen Götterblick zeigend, der wie Blitz zünden kann, das ist ein Element für sein Kunstschaffen; wo er gezwungen ist, die einzelne Persönlichkeit porträtartig darzustellen, da verliert das Porträt un­willkürlich seinen Selbstzweck. Dies be­weisen die Statuen des Giuliano und Lorenzo Medici auf ihren Grabmonnmen­ten in S. Lorenzo zu Florenz. Offenbar galten die allegorischen Gestalten an den Monumenten dem Künstler mehr, und die Porträtbildsäulen sollten nur die Pyramide zu einem würdigen Abschluß bringen.

So groß auch ein Künstler sein mag, stets ist er in seinem Schaffen von der Außenwelt beeinflußt, die demselben die Wege vorzeichnet. Es ist und bleibt wohl ewig ein schöner Traum der Künstler, schaffen zu können, nicht was oder wie die Welt es ihnen vorschreibt, sondern wie ihr Genius, eine Stunde der Begei­sterung es ihnen eingiebt. Die größten Heroen der Kunstwelt waren an die Mit­welt angewiesen, und es bleibt nicht ihr kleinster Ruhm, daß sie diese Ketten mit

den herrlichsten Blumengewinden ihrer Kunst zu decken verstanden. Da ist Lionardo da Vinci (1452 bis 1519), der Maler des Abendmahls, an den Hof des Lodovico Sforza in Mailand gebunden. Der sinnliche Fürst, der eine Maitresse nach der anderen besaß, verfiel auf den Gedanken, sich eine Schönheitsgalerie von ihm malen zu lassen, zu welcher natürlich dieselben sitzen mußten. Mehrere dieser Bildnisse haben sich erhalten, aber sie sind fast ohne Ausnahme namenlos. Hierher wird wohl auchllri billig llsri-onigi-s" im Louvre gehören, die man später fälsch­lich als eine Geliebte von Franz I. be­zeichnet^ Eine derselben, die Cecilia Gallerani, hat der Künstler sogar als Madonna mit dem Kinde gemalt! Leider ist des Meisters Hauptwerk der Bildnißkunst, eine Arbeit vieler Jahre, nicht zu Stande gekommen: das Reiter­standbild des Francesco Sforza. Es wäre ein würdiges Seitenstück des Bildes ge­worden, das'Colleoni in Venedig von sei­nem Lehrer Verrocchio gemalt. Lionardo war bekanntlich, wie Michel Angelo, ein Tausendkünstler und wußte in seinem Geiste Malerei, Architektur, Bildhauerei und Jn- genieurkunst zu vereinen. Das Modell war bereits fertig, aber die tausend Centner Bronze waren dazu nicht zu beschaffen, auch ging indessen Sforza's Herrschaft und damit Lionardo's Werk in die Brüche. Eine Zeichnung (in München) ist als letzte Erinnerung daran geblieben. Lionardo hielt sich nach dem Sturze Sforza's in Florenz auf, wo sein anmuthiges Bildniß der Mona Lisa, Gemahlin des F. del Giocondo (im Louvre), entstand. Leider ist das Bild heutzutage eine Ruine, aber es läßt noch immer die Schönheit ahnen, über welche tausend Herzen, denen es im primitiven Glanze leuchtete, in Prosa und Versen aufjauchzten.

Seine herrlichsten Blüthen entfaltete das Porträt jener gesegneten goldenen Zeit der Kunst in der venetianischen Schule. Weun es wahr ist (und vom akademischen Stand­punkte ist nichts dagegen einzuwenden), daß Freiheit und Politisch geordnetes Staats­wesen auf Wissenschaft und Kunst einen wohlthuenden Eindruck ausüben in Venedig war diese Vorbedingung nicht zu treffen. Obgleich eine Republik, war Venedig despotischer regiert wie nur je