Kühne: Das Junge Deutschland.
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die preußischen Männer im Bundestage drängten; einem Geheimen Rath Tzschoppe war ja schon an dem, was man Zeitgeist nannte, Wort und Begriff ein Gräuel. Kirchenrath Paulus in Heidelberg mahnte 1836 Gutzkow, die Kritik des „Morgenblattes" als Verleumdung, als wissentliche Injurie gerichtlich zu verfolgen. Die Schändlichkeit der Recension sei von doppelter Art; die Behauptung, das Buch „Wally" verführe zur Unzucht und zur Irreligiosität, sei zwiefach als gerichtlich strafbar aufzufassen. Wir wissen freilich, daß bei Jahn's Einstellung und Verfolgung seiner Zeit dessen Frau gegen Herrn v. Kamptz eine Calumnienklage erhob, und nachdem das Berliner Kammergericht vom Justizminister Verhaltungsmaßregeln erhalten, als altinm imtlo der Cabinets- befehl erfolgte, die Klage sei unstatthaft. Der gute Rath des Kirchenrath Paulus, sehr warm gefühlt, ward von Gutzkow nicht befolgt. Auch nannte der brave Warner es unverständig, sich „mit seinen Freunden als Junges Deutschland" vor- znstellen, weil dieser „Namensunfug" nur dazu führen könne, den Unglücklichen vom Jungen Italien in Olmütz Gesellschaft zu leisten.
„Haha! Hab' ich's nicht gesagt!" jubelte der Landsknecht, als ich ihm die Lage der Dinge klar machte. — Zn seiner Romantik gehörte das Interesse am Gefängnißleben. In meiner Vaterstadt Magdeburg habe ich ihm in den Festungswerken den alten Schauplatz zeigen müssen, wo Trenk schier räthselhaft aus dem Kerker entsprang. In Venedig waren die Bleikammern, ans denen Casanova entwich, sammt den Wasserspelunken, in die Lord Byron sich gern einsperren ließ, um die Gefühle der halb marinirten Sträflinge in sich zu erleben, Hauptgegenstände seiner wanderlustigen Forschungen. Aber der Landsknecht jubelte nicht aus Schadenfreude, wie ich Olmütz erwähnte, vielmehr nur zur Bestätigung seiner fixen Idee von einem internationalen Zusammenhang der politischen Verschwörungen und literarischen Genossenschaften aller Völker und Länder.
Karl Gutzkow aber saß allen Ernstes zu Mannheim fest, kraft Spruch des großherzoglich badischen Hofgerichts auf vier Wochen, aus denen mit der voransgegan-
genen Untersuchungshaft zwölf geworden waren, um, nach seinem eigenen späteren Geständniß, „eine literarische Jugendsünde" hinter Schloß und Riegel und Fenstergittern abzubüßen und „fern von Madrid" darüber nachzudenken, was sittenverderblich , lebensgefährlich, weltunter- wühlend an ihm sei. Was war sein literarisches Verbrechen? — Er hatte 1835 „Wally, die Zweiflerin" geschrieben und' eine Vorrede zu Schleiermacher's vertranten Briefen über Friedrich Schlegel's „Lucinde". Mit letzteren nun war also eine alte „Sünde" des damals jugendlichen großen Theologen wieder aufgefrischt. Schleiermacher war anfangs selber stutzig gewesen über des waghalsigen Freundes Buch. „Mit der Lucinde werden wir unsere Noth haben," hat er einer Freundin geschrieben. Als das Buch jedoch geradezu als ein unsittliches gebrandmarkt, sein Verfasser geächtet wurde, fühlte er sich nicht bloß um des Freundes, auch um der Sache willen gedrängt, den pharisäischen Finsterlingen gegenüber ein öffentliches Wort zu sprechen, um die Heuchelei der stumpfen Askese und die falsche Prüderie, „die Engländereien in der Liebe", wie er sagte, zu geißeln. Gutzkow drückte nur einen Stempel darauf, kalt freilich und spöttisch. Und nun „Wally, die Zweiflerin"! Der werthe Kirchenrath Paulus sagte, diese Romandichtnng sei ja gar nicht einmal verführerisch, verleite Niemand zu leidenschaftlichen Ueppigkeiten. Ja wohl, da liegt es. Diesem Weibe Wally, kritisch-frostig wie sie ist, fehlt in der That alles Verlockende, der Denkerin in ihr auch die Weihe des Zweiflers, der an Gott zwar irre wird, aber ihn doch, indem er ihn bekrittelt, voraussetzt. Einige Ausfälle im Buche gegen das Christenthum, die man für gotteslästerlich hielt, sind zwar sehr dreist, aber viel zu profan, um in ihrer abstoßenden Wirkung gemeinschädlich zu sein. Die Behauptung aber, die Menschheit habe viel zu viel Hülfs- quellen in sich selber, könne „auch ohne Christenthnm" bestehen, erinnert an Les- sing's verzweifelten Ausruf: was er mit einer Offenbarung machen solle, die achtzehn Jahrhunderte lang mißverstanden sei! Schon im dreißigjährigen deutschen Glaubenskriege sagte der cherubinische Wächter Silesius: „Ist Christus tausendmal in