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Das Junge Deutschland.
Kühne:
der nüchternen Sophistik der Zweiflerin Wally, in der kalten Skepsis ihres Cäsar — Beide muthen sich bloß Ungeziemendes zu und machen sich bloß irre am Herkommen des religiösen Glaubens — ist von solch tiefgefühlter Schwärmerei des Herzens keine Spur, keine Rede. Gegenüber dem dialektischen Scharfsinn dieser blasirten Gesellschaftsmenschen hat die That jener Charlotte fast den Anstrich eines frommen Fanatismus, einer kindlichen, alles Egoismus baren Opferfreudigkeit.
Ebenso fehl greift Gutzkow in der versuchten Parallele zwischen seiner „Wally" und der „Lelia" von George Sand. Dieses französische Buch, damals in Deutschland überall gelesen, lieferte fast das Gegeutheil von dem Opfertode der deutschen Frau. Die Heldin des französischen, mit allem Zauber der Hingebung und Ergriffenheit geschriebenen Romans opfert nicht sich, sondern den, den sie liebt, ihrem entsetzenvollen Wahn. „Lelia" ist für mich das sündhafteste aller sündhaften Bücher Frankreichs, schrecklicher als alle Frivolitäten in den Ehebruchsgeschichten dortiger Komödien, weil George Sand echt poetisch und heiß entzündend dem Götzenbilds eines Dünkels, dem Moloch eines wider Gott und Natur sich auflehueuden Egoismus die gesummte Weltordnung und Moral hinzuschlachten im Stande wäre, entlarvte man nicht den frevelhaften Jrrthum ihrer Entartung. Die Saint-Simonisten suchten und forderten das freie Weib, und diesseits wie jenseits lieferten Wirklichkeit und Dichtung zwei Frauen, die in ihrem absoluten Freiheitsdrang bewußtlos der Sclaverei eines Phantoms verfallen. Charlotte durste weiter leben ohne das Gefühl der Verpflichtung, einen physisch kranken, geistig erlahmenden Dichter retten und beflügeln zu müssen. Lelia durfte in ihren: Drang, frei von der Berührung eines Mannes sich zu erhalten, nicht leben bleiben, da sie einen Grabhügel mit eigener Verschuldung aufrichtete. So ist das Buch nicht sowohl unmoralisch als vielmehr eine Blasphemie gegen die Ehe, ein Frevel an allem geheiligten Naturrecht.
„Emancipation des Weibes ist freilich ein Unsinn!" rief Friedrich Schwarzenberg, als ich ihm das heute hier Ausgesührte damals andeutete. „Man darf überhaupt keine Theoreme machen! Ihr seid mir
aber allesammt zu doctrinär, ihr alle Fünf oder Sieben! Als hättet ihr zu lauge in den unterirdischen Katakomben des Hegel- schen Systems gesessen! Seid ihr nicht Alle Hegelianer?"
„Doch wohl nicht alle Fünf!" war meine Entgegnung. „Ludolph Wienbarg am wenigsten; er verkannte sogar Hegel vollständig; er meinte, dieser borussificirte Philosoph habe zum Beweise, daß Alles, was wirklich, vernünftig sei, über seine Trommel ein preußisches Kalbsfell gezogen."
„Ha, dieser Vater des Complots!" sagte Fritz Schwarzenberg. „Trommelt vielleicht selber sehr gut, dieser Tambourmajor der jungen Germania! Muß ihn doch auskundschaften in Hamburg! Wird doch wohl ein deutscher Mazziui sein. Ob er auch wohl gegen Verräther ein Todesurtheil vollstrecken kann wie der welsche Conspirator? Ich muß ihn aushorchen. Der hat gewiß im Stillen die Fäden in der Hand, dieser stille, geheime, deutsche Mazzini!"
Ein paar Tage daraus saß ich, fast gewaltsam dazu gepreßt, in des Fürsten Reisewagen aus der Fahrt nach Hamburg.
Die fixe Idee war dem Landsknecht nicht aus der Luft zugeflogen, nicht aus heiler Haut entstanden. Er konnte sich ein Bündniß nicht denken ohne ein leitendes, selbstbewußtes Centrum. Zu Anfang der dreißiger Jahre war Fürst Friedrich seinem Bruder, dem Fürsten Karl von Schwarzenberg, dem Gouverneur der Lombardei, zu Mailand als Adlatus beigesellt, als civile Hälfte im Regiment, um die seit der Pariser Julirevolution entstandenen Bewegungen dort zu überwachen. Mazzini, der Advocat von Genua, hatte seit 1630 an der Errichtung eines einigen und ge- sammten Italiens gearbeitet. An revolutionären Versuchen dazu betheiligt, mußte er im Jahre darauf Italien verlassen und lebte, in Contumaz zum Tode verurtheilt, in Genf. Das Junge Italien hatte in den ersten zwei Jahren darauf seinen heimlichen Mittelpunkt in Rom. Dort criminell bedrängt, flohen die Mitglieder ebenfalls nach der Schweiz, wo Mazzini, der in Genf seine Zeitschrift „Da Ziovins Itrckw" gründete, ihren geschlossenen engeren Verband zu Stande brachte. Die Carbo-