Heft 
(1881) 298
Seite
515
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Die Krisis in der Landwirthschast.

Von

Max Wirth.

Infolge der Krisis von 1873 ist eine jener Umwälzungen in der internationalen Volks- wirthschaft eingetreten, von welchen neue Epochen anzuheben pflegen. Auf der einen Seite bietet der Kapital­markt fo außerordentliche Erscheinungen dar, daß man auf eine dauernde Er­mäßigung des Zinsfußes rechnen kann; auf der anderen Seite hat die Getreide- und Fleischproduction in überseeischen Ländern eine so starke und plötzliche Aus­dehnung gewonnen, daß der Preis des Getreides und der Fleischwaaren in einer Weife gedrückt zu werden droht, daß den europäischen Consumenten zwar dadurch eine große Wohlthat bereitet, die Land- wirthe dagegen in ihrer Existenz bedroht werden. Dazu werden die überseeischen Transportanstalten in einer Weise vervoll­kommnet, daß sie die europäischen Binnen­verkehrsmittel bereits überflügelt haben. Dieselbe Periode der Ueberproduction, welche in Europa mit der Beendigung des deutsch-französischen Krieges angefangen, hatte in Amerika, noch gesteigert durch den seit 1863 eingeführten Hochschutzzoll, eine so außerordentliche Thätigkeit in der Großindustrie und im Eisenbahnbau her­vorgebracht, daß gerade wie in Europa der Capitalvorrath nicht mehr für den Umfang der Unternehmungen ausreichte.

Nachdem infolge dessen die Krisis her­eingebrochen war, mußten die aus den Werkstätten entlassenen Arbeiter diesseits

und jenseits des atlantischen Oceans Unter­kunft in der Landwirthschaft suchen. Wäh­rend sich dieser Proceß in Europa, wo man seit Jahrzehnten über den Mangel an ländlichen Arbeitern geklagt, fast un­merklich vollzog, gestaltete er sich in den Vereinigten Staaten zu einer Art Völkerwanderung.

In den fünf Jahren von 1876 bis 1880 soll über eine Million Menschen aus den Oststaaten Nordamerikas ausge­wandert sein, um sich in den Weststaaten eine neue Heimstätte zu begründen, indem sie sich der Landwirthschaft widmeten. In den drei Jahren von 1878 bis 1880 wurden 9 Millionen Acres (1 Acre 0,40'/y ba) über den vorherigen Jahresdurchschnitt an Bundesländereien verkauft. Neben­bei sind auch von den Pacific-Eisenbahn- Gesellschaften, deren Unternehmungen auf der Basis großartiger Landschenkungen von Seite der Union begründet sind, be­deutende Verkäufe von Getreideboden längs ihrer Linien bewerkstelligt worden. Unter den neuen Ansiedlern aber befinden sich nicht bloß Directoren der Pacificbahnen selbst, sondern auch andere Großunter­nehmer, welche die Weizenproduction mit allen Hülfsmitteln der neueren Technik in einem Maßstabe begonnen haben, daß selbst der Betrieb der größten Grundherr- schasten in Europa dagegen in den Schat­ten gestellt wird. Diese Ausdehnung des Getreidebaues innerhalb weniger Jahre wurde erleichtert oder überhaupt in dieser

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