518 Jllustrrrte Deutsche Monatshefte.
eine dem Niagara parallel laufende künstliche Wasserstraße, den Wellandcanal, den Ontariosee erreicht und sodann, den Stromschnellen des Sanct Lorenzstromes durch acht kleine Seitencanäle ausweichend, Montreal gewinnt, bis wohin die Ozeandampfer gelangen. Auf den oberen Seen verwendet man Dampfer bis zu einer Tragfähigkeit von 2000 bis 3000 Tonnen, welche am Ende des Eriesees in kleinere Fahrzeuge umgeladen werden, da der Eriecanal nur Boote von 210 Tonnen Gehalt und der Wellandcanal nur solche von 600 Tonnen Gehalt trügt. Infolge dessen müssen die nach Europa bestimmten Getreidesendungen zweimal umgeladen werden, und dies verursacht, trotz des Gebrauches der Elevatoren, nicht unbeträchtliche Kosten. Seit einigen Jahren nun ist Canada auf Antrieb seiner Handelskammern am Werke, auch dieses Hinderniß hinwegzuräumen und dadurch einen Vorsprung vor New-Iork zu gewinnen, mit welchem es den gleichen Witterungsbedingungen unterworfen ist, da hier wie dort die Schifffahrt infolge des strengen Winters fünf Monate unterbrochen werden muß.
Canada ist nämlich mit Hülfe der Aufwendung eines für seine geringe Bevölkerung enormen Capitals, welches zuerst aus 30 Millionen Dollars bemessen war und neuerdings um 20 Millionen erhöht worden ist, damit beschäftigt, seine Canäle dergestalt zu erweitern, daß die Ozeandampfer bis in den Oberen See gelangen können und daß Getreideschiffe von 3000 Tonnen Gehalt künftig aus Duluth, ohne umgeladen zu werden, bis nach Liverpool fahren können. Dieses große Werk soll schon im Herbst 1882 vollendet sein, so daß bereits die Ernteüberschüsfe des nächsten Jahres eine weitere Transportkostenermäßigung genießen werden. Da nun gerade Duluth der Stapelplatz für die eigentliche westliche Kornkammer ist, so wird dasselbe künftig mit Chicago wetteifern. Außerdem wird die Concur- renz der canadischen mit der New-Aorker Binnenschifffahrt einerseits sowie der Wettbewerb dieser Wasserstraßen mit den Eisenbahnen andererseits in Zukunft eher auf eine Ermäßigung als auf eine Erhöhung der Transportkosten hinwirken.
Außerdem aber vermindert sich die Steuerlast in den Vereinigten Staaten
fortwährend, indeß der Capitalvorrath daselbst enorm wächst und die Zinsen überraschend schnell sinken. Die Bundesschuld ist innerhalb zwölf Jahren von 2600 aus 1880 Millionen Dollars gesunken. Die Verzinsung derselben, welche anfangs über 150 Millionen Dollars erforderte, beträgt in diesem Jahre kaum noch 77 Millionen. Die Valuta ist vor zwei Jahren wieder hergestellt worden, ohne daß die Union eine Anleihe zu Hülfe zu nehmen brauchte. Bon 4000 Millionen Mark, welche im Jahre 1870 nach einer Schätzung des Londoner „Economist" an amerikanischen Werthpapieren in Händen europäischer Gläubiger sich befanden, waren bis 1880 3000 Millionen in das Ursprungsland zurückgekanft und nur 1000 Millionen in Europa zurückgeblieben. Der Zinsfuß der Bonds ist innerhalb der drei letzten Jahre von sechs Procent auf vier Procent gesunken, und schon heute sind die Bereinigten Staaten im Stande, Anlehen zu iU /2 Procent im Paricurs zu machen. Aus diesem in der Finanzgeschichte unerhörten Aufschwünge ist der Schluß zu ziehen, daß Amerika von jetzt an verhältniß- mäßig immer mehr Capital zur Vermehrung seiner Transportmittel sowie zur Ausbildung seiner Productionswerkzenge und Maschinen zur Verfügung haben werde.
Zu dieser geradezu phänomenalen Entwickelung Amerikas kommt nun noch der Umstand, daß auch die Getreideausfuhr Rußlands in gewaltigen Ziffern anwächst und von 73 Millionen Rubel im Jahre 1868 auf 180 im Jahre 1875 und 264 Millionen Rubel im Jahre 1877 gestiegen ist. Ferner muß berücksichtigt werden, daß selbst der Getreideexport Aegyptens und Indiens in der neuesten Zeit ein Factor geworden ist, der in Rechnung gezogen werden muß, insbesondere da die Sendungen aus diesen Ländern seit der Eröffnung des Suezcanals auf den europäischen Stapelplätzen eintreffen können, ehe die neue Ernte zu Markte gebracht ist. Hinsichtlich der Fleischeinfuhr aber ist Australien infolge der verbesserten Trans- porteinrichtnngen mit seinen 7 Millionen Rindern und 61 Millionen Schafen ein gleichfalls nicht zu unterschätzender Factor.
Unter solchen Umständen ist die europäische Landwirthschaft von einer Con- currenz bedroht, deren Gefahren nicht