Heft 
(1881) 298
Seite
519
Einzelbild herunterladen

519

Wirth: Die Krisis i

unterschätzt werden dürfen. Je größer aber die Gefahr, um fo wichtiger ist es, die richtigen Hülfsmittel dagegen anzu­wenden. Zunächst ist im Deutschen Reiche ein solches Mittel der Abwehr in der Er­richtung eines geringen Eingangszolles gewählt worden. Wir halten dieses Trutz­mittel gegenüber dem großen Spielraum, welcher den westamerikanischen Landwir- then zwischen ihren Produktionskosten und dem Weltmarktpreise bleibt, für unwirk­sam und gefährlich. Nach einer Mißernte kann es der Staat den armen arbeitenden Classen gegenüber nicht verantworten, das nothwendige Brot durch einen hohen Zoll noch theurer zu machen, während er sich gleichzeitig durch Gesetze gegen den So­cialismus schützen muß. Aus der anderen Seite aber sind die Landwirthe, von denen überdies nur die ansehnliche Ueberschüsse erzielenden Grundbesitzer in Betracht kom­men, in der Regel geneigt, sich durch ein solches Palliativmittel einschläfern und da­durch abhalten zu lassen, nach wirksameren neuen und productiven Hülssmitteln zu suchen. Dieser Punkt kann nicht genug beherzigt werden.

Wir wollen daher unsere Betrachtungen nicht schließen, ohne unsererseits einen schwachen Versuch zu machen, einige prak­tische Hülfsmittel gegen die herannahende Gefahr zu bezeichnen.

Das erste Mittel besteht darin, daß man Mitteleuropa wenigstens hinsichtlich der Binnenschifffahrt wenn auch nur an­nähernd auf gleichen Fuß mit Amerika zu bringen suche, damit die Products der heimischen Landwirthschaft wenigstens nicht höhere Transportkosten zu zahlen haben als die der Amerikaner. Es muß das Netz der künstlichen und natürlichen Wasser­straßen Mitteleuropas ausgebildet wer­den in dem Sinne, wie es in Nordamerika bereits geschehen und in Frankreich schon in Angriff genommen ist und von dem wir schon früher in diesen Blättern ge­sprochen haben. Es muß ferner ein secundäres Netz neuer billiger Eisenbah­nen unter Benutzung der gewöhnlichen Landstraßen gebaut werden, wozu die Ge­setzgebung in Belgien, in Oesterreich und Ungarn bereits die Hand geboten hat. Es muß neben dem Realcredit auch der ländliche Personalcredit gefördert werden,

der Landwirthschaft.

z. B. dadurch, daß das einseitige Ge­nossenschaftsgesetz revidirt und die be­schränkte Haftpflicht der Genossen zuge­lassen wird, ohne welche das Genossen­schaftswesen für die landbantreibende Be­völkerung eine Todtgeburt bleibt. Es muß die ungleiche und ungerechte Ver­anlagung der Grundsteuer nach dem alten Katastralsystem abgeschafft und dieselbe nach den Kauf- und Pachtpreisen in der Art einer Vermögenssteuer womöglich jährlich umgelegt werden, es sollen sodann die wunderbaren wissenschaftlichen und technischen Fortschritte des landwirth- schaftlichen Betriebes ans jede mögliche Weise, insbesondere durch bessere Aus­bildung der Volksschullehrer und durch Wanderlehrer, zugänglich gemacht werden.

Soweit die Gesetzgebung und Verwal­tung einwirken können, müßte jeder weite­ren künstlichen Erhöhung der Bodenpreise vorgebeugt werden; ferner sollte von Seite des Staates und der Vereine noch mehr als bis jetzt für die Einführung guter Samenarten und für Veredelung der Viehzucht gewirkt, sowie durch gutes Beispiel und Belehrung darauf hingestrebt werden, daß die Landwirthe ans genossenschaftlichem, corporativem oder Unternehmungswege sich immer mehr der großen Maschinen bedienen und dadurch in den Stand gesetzt werden, ihr Product früher zu Markte zu bringen.

Wo aber alle diese Mittel vergeblich sind, da muß entschieden zu einer Aende- rung des Betriebes, zu anderen Cultur- arten gegriffen werden, und zwar in der Art, daß zunächst die mit den höchsten Productionskosten arbeitenden Aecker dem Getreidebau entzogen und mit anderen Gewächsen bestellt werden, deren Auf­suchung und Auswahl Aufgabe der Land- wirthschaftslehre, der Vereine und in ge­wissen Beziehungen auch des Staates ist,* um auf diesem Wege der Krisis zu entgehen, in die die europäische Landwirthschaft ge- rathen und ans der nur eine vernünftige Radicalcur sie dauernd erlösen kann.

* Wir haben eine Anzahl neuer Culturarten in einer soeben bei F. A. Herbig in Berlin erschiene­nen Schrift:Die Krisis in der Landwirthschaft und Mittel zur Abhülfe", vorgeführt, deren Prüfung wir den Kreisen, welche sich näher für die Sache interessiren, anheimstellen.