Literarische Mittheilnnqen. 523
ja meisterhafte Arbeiten an den Zusammenhang der bisherigen Entwickelung des deutschen Denkens an; sic versuchen von diesem Standpunkte aus insbesondere die immer mehr in den Vordergrund tretenden Probleme der Methodcn- lehre zu lösen.
Das erste dieser Werke ist schon früher von uns den Lesern empfohlen worden: Logik. Von Hermann Lotze. Drei Bücher vom Denken, vvm Untersuchen und vom Erkennen. (Leipzig, Verlag von S. Hirzel.) Das Werk ist eine Ausarbeitung desjenigen Standpunktes, welcher in einer der ersten Schriften des berühmten Verfassers, seiner „Logik", dargelegt war; nunmehr werden die Grundgedanken derselben in den großen Zusammenhang einer umfassenden Darstellung seines Systems als Grundlage cingeordnet. Es ist das dritte Mal, daß Lotze die Hauptprobleme der Philosophie zur Darstellung bringt. Das erste Mal geschah es in jenen bedeutenden Einzelarbciten der Logik, der Metaphysik, der Physiologie der Seele u. a., welchen sich dann neuerdings noch seine „Geschichte der Aesthctik" anschloß, die bekanntlich zugleich seine eigenen genialen ästhetischen Anschauungen entwickelt. Dann hat er in einem für einen großen Leserkreis berechneten und in mehreren Auslagen weit verbreiteten Werke, dem „Mikrokosmus", von dem großen Räthsel der Entwickelungsgeschichte des Menschen aus alle Hauptfragen des menschlichen Denkens in glänzender Form behandelt. Nun endlich hat er in seinem „System der Philosophie" eine mehr schulgemäße und systematische Entwickelung seiner Weltanschauung zu veröffentlichen begonnen, von dem der zweite Band nunmehr vorliegt: Metaphysik. Von Hermann Lotze. Drei Bücher der Ontologie, Kosmologie und Psychologie. (Leipzig, Verlag von S. Hirzel.) Dieser Band behandelt in seiner ersten Abtheilung die metaphysischen Probleme, welche Lotze in früher Jugend in seiner Schrift „Metaphysik" zuerst angefaßt hatte und zwar von dem schon damals eingenommenen Standpunkt aus. Aber die besondere Aufmerksamkeit aller wissenschaftlichen Kreise zieht der zweite Theil dieses Bandes auf sich, welcher Lotzc's Naturphilosophie zum ersten Male publicirt. Unter den Philosophen dieses Jahrhunderts hat es keinen so tiefen Kenner der Mathematik und der Naturwissenschaften gegeben als thn, und so waren alle sich für dieselben interessirenden Kreise lange gespannt, seine Ansicht über so viele schwebende Fragen, über den Darwinismus, über die sogenannten metamathematischen Untersuchungen, zu vernehmen. Der sehr kritische Standpunkt, welchen Lotze zum Theil diesen neueren Entdeckungen gegenüber einnimmt, wird geradezu zur theilweise vernichtenden Polemik auf demjenigen Gebiete, welchem die frühesten und am allermeisten eingreifenden Arbeiten gewidmet
waren, dem der Physiologie und der Physiologischen Psychologie. Eine vernichtende Polemik trifft auch diejenigen neueren Arbeiten, welche den Sitz der einzelnen psychischen Thätig- keit in den Hirntheilen mit unfehlbarer Sicherheit bereits festzustellen den Anspruch erheben. Ueber Darwin's Hypothese urtheilt der Verfasser: „Einstweilen darf sie der großen Fülle höchst merkwürdiger natnrgefchichtlicher That- sachen, welche Darwin's unermüdliche Beob- achtungskünst aufgefunden hat, sich ebenso herzlich erfreuen, wie sie mit vollkommenster Geringschätzung über seine anspruchsvollen und verfehlten Theorien hinweggeht." Ueber die Ableitungen des Organischen, wie sie seit Darwin in gewissen naturwissenschaftlichen Kreisen üblich wurden, urtheilt er: „Den weiteren Streit aber wird die Zeit beschwichtigen, so weit er von wissenschaftlichen Bedürfnissen und nicht von dem festen und unüberwindlichen Hasse gegen jeden Gedanken ausgeht, welcher einer Neigung zur Religiosität verdächtigt werden könnte. Jene Hoffnung sehen wir theilweise schon erfüllt; ein Sprüchwort läßt die, die zu viel beten, sich durch den Himmel hindurchbeten, jenseits die Gänse hüten; cs ist denen besser gegangen, die in aufrichtigem wissenschaftlichen Interesse anfänglich dem blinden Zufall und dem absichtslosen Stoffe die Erzeugung der organischen Welt glaubten abgewinnen zu müssen; in beiden Principien haben sie all- mälig so viel Vernünftigkeit und inneres Bestreben hineindichten müssen, daß nur noch die Caprice des Sprachgebrauchs, Stoff, Mechanismus und Zufall genau das zu nennen, was sonst Geist, Leben und Vorsehung heißt, ihre Rückkehr zu lebhaft bekämpften (Überzeugungen zu verhindern scheint."
Das andere dieser Werke ist nunmehr zum Abschluß gekommen. Sigwart hatte vor dem Erscheinen desselben einige vortreffliche Untersuchungen aus dem Gebiet der Geschichte der Philosophie veröffentlicht; mit dem jetzt abgeschlossenen Bande tritt er in die erste Reihe der europäischen Logiker. Logik. Von Sigwart. 2 Bände, (Tübingen, Verlag der H. Laupp'schen Buchhandlung.)
Das Werk kann am passendsten als eine Lösung derselben Aufgabe, welche auch John Stuart Mill sich stellte, von dem entgegengesetzten deutschen Standpunkte aus betrachtet werden. Gemeinsam ist beiden die vorsichtige Abgrenzung der Logik innerhalb des Zusammenhanges der philosophischen Wissenschaften. Sie soll nicht eine Anweisung geben, das Seiende zu erkennen, sich der objectiven Welt im Erkenntnißacte zu bemächtigen. Es bleibt der Metaphysik überlassen, festzustellcn, in welchem Umfang eine solche Aufgabe überhaupt lösbar ist; dieselbe mag die Hypothesen prüfen, durch welche die letzten Voraussetzungen