Heft 
(1881) 298
Seite
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Literarische Mittheilnnqen. 523

ja meisterhafte Arbeiten an den Zusammenhang der bisherigen Entwickelung des deutschen Den­kens an; sic versuchen von diesem Standpunkte aus insbesondere die immer mehr in den Vor­dergrund tretenden Probleme der Methodcn- lehre zu lösen.

Das erste dieser Werke ist schon früher von uns den Lesern empfohlen worden: Logik. Von Hermann Lotze. Drei Bücher vom Denken, vvm Untersuchen und vom Erkennen. (Leipzig, Verlag von S. Hirzel.) Das Werk ist eine Aus­arbeitung desjenigen Standpunktes, welcher in einer der ersten Schriften des berühmten Ver­fassers, seinerLogik", dargelegt war; nunmehr werden die Grundgedanken derselben in den gro­ßen Zusammenhang einer umfassenden Darstel­lung seines Systems als Grundlage cingeordnet. Es ist das dritte Mal, daß Lotze die Haupt­probleme der Philosophie zur Darstellung bringt. Das erste Mal geschah es in jenen bedeutenden Einzelarbciten der Logik, der Meta­physik, der Physiologie der Seele u. a., welchen sich dann neuerdings noch seineGeschichte der Aesthctik" anschloß, die bekanntlich zugleich seine eigenen genialen ästhetischen Anschauungen entwickelt. Dann hat er in einem für einen großen Leserkreis berechneten und in mehreren Auslagen weit verbreiteten Werke, demMi­krokosmus", von dem großen Räthsel der Ent­wickelungsgeschichte des Menschen aus alle Hauptfragen des menschlichen Denkens in glän­zender Form behandelt. Nun endlich hat er in seinemSystem der Philosophie" eine mehr schulgemäße und systematische Entwickelung seiner Weltanschauung zu veröffentlichen begonnen, von dem der zweite Band nunmehr vorliegt: Metaphysik. Von Hermann Lotze. Drei Bücher der Ontologie, Kosmologie und Psycho­logie. (Leipzig, Verlag von S. Hirzel.) Dieser Band behandelt in seiner ersten Abtheilung die metaphysischen Probleme, welche Lotze in früher Jugend in seiner SchriftMetaphysik" zuerst angefaßt hatte und zwar von dem schon da­mals eingenommenen Standpunkt aus. Aber die besondere Aufmerksamkeit aller wissenschaftlichen Kreise zieht der zweite Theil dieses Bandes auf sich, welcher Lotzc's Naturphilosophie zum ersten Male publicirt. Unter den Philosophen dieses Jahrhunderts hat es keinen so tiefen Kenner der Mathematik und der Naturwissen­schaften gegeben als thn, und so waren alle sich für dieselben interessirenden Kreise lange gespannt, seine Ansicht über so viele schwebende Fragen, über den Darwinismus, über die so­genannten metamathematischen Untersuchungen, zu vernehmen. Der sehr kritische Standpunkt, welchen Lotze zum Theil diesen neueren Ent­deckungen gegenüber einnimmt, wird geradezu zur theilweise vernichtenden Polemik auf dem­jenigen Gebiete, welchem die frühesten und am allermeisten eingreifenden Arbeiten gewidmet

waren, dem der Physiologie und der Physio­logischen Psychologie. Eine vernichtende Po­lemik trifft auch diejenigen neueren Arbeiten, welche den Sitz der einzelnen psychischen Thätig- keit in den Hirntheilen mit unfehlbarer Sicher­heit bereits festzustellen den Anspruch erheben. Ueber Darwin's Hypothese urtheilt der Ver­fasser:Einstweilen darf sie der großen Fülle höchst merkwürdiger natnrgefchichtlicher That- sachen, welche Darwin's unermüdliche Beob- achtungskünst aufgefunden hat, sich ebenso herzlich erfreuen, wie sie mit vollkommenster Geringschätzung über seine anspruchsvollen und verfehlten Theorien hinweggeht." Ueber die Ableitungen des Organischen, wie sie seit Darwin in gewissen naturwissenschaftlichen Kreisen üblich wurden, urtheilt er:Den weiteren Streit aber wird die Zeit beschwichtigen, so weit er von wissenschaftlichen Bedürfnissen und nicht von dem festen und unüberwindlichen Hasse gegen jeden Gedanken ausgeht, welcher einer Neigung zur Religiosität verdächtigt werden könnte. Jene Hoffnung sehen wir theilweise schon er­füllt; ein Sprüchwort läßt die, die zu viel beten, sich durch den Himmel hindurchbeten, jenseits die Gänse hüten; cs ist denen besser gegangen, die in aufrichtigem wissenschaftlichen Interesse anfänglich dem blinden Zufall und dem absichtslosen Stoffe die Erzeugung der organischen Welt glaubten abgewinnen zu müssen; in beiden Principien haben sie all- mälig so viel Vernünftigkeit und inneres Be­streben hineindichten müssen, daß nur noch die Caprice des Sprachgebrauchs, Stoff, Mecha­nismus und Zufall genau das zu nennen, was sonst Geist, Leben und Vorsehung heißt, ihre Rückkehr zu lebhaft bekämpften (Überzeugungen zu verhindern scheint."

Das andere dieser Werke ist nunmehr zum Abschluß gekommen. Sigwart hatte vor dem Erscheinen desselben einige vortreffliche Unter­suchungen aus dem Gebiet der Geschichte der Philosophie veröffentlicht; mit dem jetzt abge­schlossenen Bande tritt er in die erste Reihe der europäischen Logiker. Logik. Von Sigwart. 2 Bände, (Tübingen, Verlag der H. Laupp'schen Buchhandlung.)

Das Werk kann am passendsten als eine Lösung derselben Aufgabe, welche auch John Stuart Mill sich stellte, von dem entgegen­gesetzten deutschen Standpunkte aus betrach­tet werden. Gemeinsam ist beiden die vor­sichtige Abgrenzung der Logik innerhalb des Zusammenhanges der philosophischen Wissen­schaften. Sie soll nicht eine Anweisung geben, das Seiende zu erkennen, sich der objectiven Welt im Erkenntnißacte zu bemächtigen. Es bleibt der Metaphysik überlassen, festzustellcn, in welchem Umfang eine solche Aufgabe über­haupt lösbar ist; dieselbe mag die Hypothesen prüfen, durch welche die letzten Voraussetzungen