Heft 
(1881) 298
Seite
525
Einzelbild herunterladen

525

Literarische Mitt Heilungen.

schon deutlicher hervor. Aus der Analyse des Urtheils ließen sich bereits die Fnnctionsgesetze des Denkens ablciten. Der Satz vom Grund und der Folge ist so gut ein solches Functions­gesetz unseres Denkens als der Satz von der Uebercinstimmung, vom Widerspruch, vom aus­geschlossenen Dritten. Aber diese Axiome wollen nicht ein Urtheil begründen, daß dieses oder jenes Einzelne sei. Aus der Nothwendig- keit unseres Vorstellcns, welche die Functions- gesctze unseres Denkens aussprechen, folgt nicht die Nothwcndigkcit realer Thatsachcn und ihrer Verhältnisse. Es giebt keine Axiome, aus denen die Existenz oder die Verhältnisse von realen Thatsachcn folgten. Vielmehr ist das Dasein einer äußeren, für Alle selbigen Welt ein Postulat unseres Wissens- und Erkenntniß- triebcs, und nun werden durch die Natur unserer Wahrnehmungen gewisse allgemeine Voraus­setzungen gefordert, um ihre Beziehung auf ein Seiendes außer uns möglich zu machen. Der Leitfaden bei der Auffindung dieser Voraus­setzungen liegt in dem Princip: es ist unmöglich, daß dasselbe zugleich sei und nicht sei. Denn würde die Möglichkeit vorausgesetzt, daß das Seiende den Widerspruch vertragen könne, wäh­rend nur unser Denken den Widerspruch aus­schließe, alsdann wäre damit jedes Streben vernichtet, dasselbe zu erkennen. Die Voraus­setzungen, unter denen wir das Seiende aufzufassen versuchen, unterliegen nun in der Geschichte der Wissenschaften einer beständigen Berichtigung und Umbildung. Liegt doch ihre Evidenz nur darin, daß sie die Erfahrungen in Zusammen­hang bringen, und so wird die Erfahrung sie entwickeln, bestätigen, berichtigen oder aufheben. In diesem Zusammenhang hat sich auch das Postulat befestigt, daß das Seiende nach all- gemeingültigen Gesetzen bestimmt sei.

Die Anforderungen an das Denken, daß es nothwcndig und allgemein sei, hatten also in diesem zweiten Theile dazu geführt, die beiden Normen zu entwickeln, welchen das Urtheil genügen muß. Die Elemente des Ur­theils müssen durchgängig bestimmt, d. h. be­grifflich fixirt sein, und der Urtheilsact muß aus nothwendige Weise aus seinen Voraus­setzungen hervorgehen. Sonach entwickelte dieser zweite Theil die Lehre von den Begriffen und Schlüssen.

Der dritte und am meisten umfangreiche Theil dieser Logik leitet nunmehr aus dem Entwickelten die Regeln des Verfahrens ab, durch welches von dem unvollkommenen Zu­stande des natürlichen Denkens aus der Zu­stand vollendeten Denkens erreicht wird. Er handelt von den Methoden, zu richtigen Be­griffen und brauchbaren Voraussetzungen von Urtheilen und Schlüssen zu gelangen. Sei­nen Mittelpunkt bildet die Theorie der In­duktion als des Verfahrens, aus einzelnen

Wahrnehmungen allgemeine Begriffe und Sätze zu gewinnen.

Dieser Wille der Erkenntniß vollzieht sich als Erkenntniß der Welt, wie sie in der Wahr­nehmung gegeben ist, in einem nach Raum und Zeit vollständigen Weltbild, in einer Classi­fication des so in der Anschauung Gegebenen und in der Aufstellung des in ihm herrschen­den Causalzusammenhangs. Als Besinnung auf die letzten Ziele unseres Wolleus vollendet er sich in der Aufstellung eines höchsten Zwecks, der alle einzelnen Handlungen in sich befaßt, und der Einsicht, daß derselbe unbedingt ge­wollt werden soll. Man bemerkt wohl, daß ein solches Ziel der Erkenntniß Voraussetzungen in sich schließt, die also schließlich als Postulate unseres Dcnkenwollens sich darstellen. Wir setzen voraus, daß unsere gegebenen Wahrnehmungen sich den Formen unseres Denkens einfügen, und wir setzen andererseits voraus, daß unser wirk­liches Thun , sich einem einheitlichen Zwecke unterordnen lasse.

Unter diesen Bedingungen also steht die . Methodenlehre; mit diesen Postulaten oder Voraussetzungen arbeitet sie. Für die Errei­chung ihres Zieles klar und begrifflich be­stimmter und allgemcingültigcr Wahrheiten muß sie zuerst eine Analyse von all' unseren Vorstellungen in ihre einfachsten Elemente voll­ziehen. Ein erheblicher Theil des zweiten Bandes ist dieser Absicht gewidmet und die Analyse der Raum-, der Zeitvorstellungen u. a. meisterhaft. Nun gilt es, die Grenzen zu bestimmen, innerhalb deren eine von festen Regeln bestimmte Synthese dieser Elemente möglich ist, und die Regeln dieser Synthese aufzu­stellen. Auf dieser Grundlage werden dann sowohl die Methoden logisch vollkommen strenger Ur- theilsbildung, die Methoden der Deduction, als diejenigen einer freieren Beziehung des empirisch Gegebenen auf allgemeinen Principien, der Jnduction und schließlich die Theorie der Classification behandelt. In diesen Abschnitten tritt der volle Gegensatz des vorliegenden Werkes zu der Logik von John Stuart Mill hervor.

Wir haben dieses Werk ausführlich charak- terisirt, weil wir von der Annahme ausgehen, daß dasselbe bestimmt sein wird, in Deutschland den empiristischen logischen Werken gegenüber ein andauerndes Gegengewicht zu bilden. Nicht selten daher werden wahrscheinlich viele Leser dieser Zeitschrift dies Werk erwähnen und Be­rufung auf dasselbe entlegen hören.

Diesen Standpunkt der empiristischen Logik, vertritt in Deutschland nunmehr in gründ­licher Weise, und zwar in einer eigenthüm- lichen Vermittelung mit einigen Ergebnissen Kant's, das in einem ersten Bande uns vorlie­gende Werk: Logik. Von Wilhelm Wundt. Bd. I. (Stuttgart, F. Enke.) Ein sofort in die Augen fallendes Verdienst des Werkes ist, daß