Heft 
(1881) 299
Seite
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L>torm: Der Herr Etatsrath. 531

abscheulicher Natürlichkeit aus Bux ge­schnitten; darunter, so daß sie bequem von einem davorstehenden Stuhle aus gehandhabt werden konnte, sah man eine Glasharmonika, zu deren rechter Seite eine Punschbowle von getriebenem Silber stand.

Wenn die Nachbaren Abends von ihren Höfen oder Gärten aus die Töne der Harmonika vernahmen, und das ge­schah im Hochsommer mehrmals in der Woche, dann wußten sie schon, daß bis nach Mitternacht auf keinen Schlaf zu rechnen sei; denn der Herr Etatsrath faß an seinem Altäre und spielte auf seinem Lieblingsinstrument; aber er spielte nicht nur, er sang auch dazu. Nicht etwa, wie man hätte glauben mögen, Lieder des Todes und der Auferstehung; wer hinten an der Gartenplanke lauschen wollte, konnte Melodie und Worte desLandes­vaters", desFürst von Thoren" und anderer alter Stndentenlieder deutlich ge­nug erkennen.

Drinnen im Saale, wenn vom Garten aus kein Licht mehr durch die Fenster drang, brannte dann zu jeder Seite des Altars eine Kerze aus hohem Silber­leuchter; die mächtige Schale war mit dampfendem Trank gefüllt, und je nach Beendigung eines Liedes, mitunter auch einer Strophe, faßte der Herr Etatsrath sie bei den silbernen Ohren und ließ einen breiten Strom über seine dehnbaren Lip­pen fließen. Bisweilen, wenn von irgend einem Zuge bewegt, die Kerzen flackerten und die Schatten in den Augenhöhlen des Todtenkopfes spielten, unterbrach er auch wohl seinen Gesang und stierte eine Weile darauf hin. Aber der Anblick des Todes schien für ihn nur das Gewürz zu den Freuden des Lebens; kamerad­schaftlich, aber doch als müsse er den armen Burschen zur Ruhe verweisen, klopfte er mit dem Harmonikahammer auf die Stirn des Schädels und intonirte

dann nur um so dröhnender:Freude, Göttin edler Herzen" oder wozu sonst der Geist ihn treiben mochte.

Ich habe übrigens, wie ich bemerken muß, diese Dinge nicht aus eigener Wahr­nehmung, sondern von dem nächsten Grundnachbar des Herrn Etatsraths, einem alten schnurrenliebenden Roth- gießermeister, der im Abenddunkel mit­unter durch den Grenzzaun schlüpfte und dann an einem der unverhangenen Saal­fenster in stillvergnügter Einsamkeit diesen musikalischen Festen beiwohnte; oft bis nach Mitternacht, um, wie er sagte, das Ende nicht zu versäumen, was bei einer richtigen Komödie ja doch das Beste sein müsse.

Und in der That, dieses Ende ließ bisweilen nichts zu wünschen übrig. Wenn die Bowle auf die Neige ging, begann der heiße Trank den Herrn Etatsrath allgemach zu drangsaliren; der Lauscher draußen konnte es von seinem Platze sehen, wie der dicke Kopf unter dem schwarzen Borstenhaar gleich einer Feuerkugel glühte.

Dann riß der Herr Etatsrath an seinem Halstuch, daß ihm die Augen aus den Höhlen quollen und der theilnehmende Rothgießermeister erst wieder aufathmete, wenn endlich das Tuch mit zorniger Ge­berde fortgeschleudert wurde. Diesem folgte alsbald unter mühseliger und ge­fahrvoller Häutung noch das eine oder andere Gewand stück, bis der Geist aus einigen weiteren Gläsern den Herrn Etats­rath über alle Schwere und Unbequem­lichkeit des irdischen Leibes hinausgehoben hatte.

Aber nicht jedes Mal gelang ihm dies in gleicher Weise; mitunter und das war eben das Hauptstück für den vergnüglichen Zuschauer erscholl um solche Zeit aus dem Saale ein dumpfer Fall, und abgerissene, elementare Laute, einem Windstoß in der Esse nicht unähn-