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Jllustrirte Deutsche Monatshefte.
lieh, drangen in die Nacht hinaus. Wenn dann nach einer Weile die Hausgenossenschaft zusaniinenstürzte, rannten die Mägde Wohl mit Geschrei im selben Augenblicke wieder von dannen; denn auf dem Fußboden neben seinem Altar lag der Herr Etatsrath gleich einem ungeheuren Roßkäfer aus dem Rücken und arbeitete mit seinen kurzen Beinen ganz vergebens in der Luft umher, bis Herr Käfer, das allmälig immer unentbehrlicher gewordene Factotum, und der einzige Sohn des Hauses den Verunglückten mit geübter Kunst wieder aufgerichtet hatten und in seinem Cabinet zur Ruhe brachten.
Dieser Sohn war von guter und heiterer Gemüthsart und hatte vom Vater nichts als das ungewöhnlich große, bei ihm jedoch mit spärlichem erbsenblonden Haar bewachsene Haupt, welches er mit seinem Halstuch zwischen zwei spitzen Vatermördern derart einznschnüren Pflegte, daß die runden Augen stets mit etwas gewaltsamer Freundlichkeit daraus hervorsahen ; darunter aber saß ein ebenso zierliches als winziges Körperchen mit lächerlich kleinen Händen und Füßen, welche letzteren ihn übrigens befähigt hatten, sich zum geschickten und nicht unbeliebten Tänzer auszubilden.
Der Vater hatte ihn auf den Namen Archimedes taufen lassen, ohne jedoch später die Mittel zu gewähren, welche dem Sohn eine Nachfolge seines klassischen Taufpathen hätten ermöglichen können. Zwar kümmerte er sich nicht darum, daß Archimedes auf der städtischen Gelehrtenschule, wo er in der That für die Mathematik eine glückliche Begabung zeigte, aus einer Classe in die andere rückte, und auch die stets erst nach mehrfachen Anmahnungen des Pedellen und unter allerlei Zornausbrüchen erfolgende Aus- ^ kehrung des Quartalschulgeldes veran- ^ laßte hierin keine Unterbrechung; statt aber dann den absolvirten Primaner ans
die Universität zu schicken, gebrauchte ihn der Vater zu untergeordneten Arbeiten seines Amtes oder kümmerte sich auch gar nicht weiter um den Sohn.
Wenn der kleine Archimedes sich einmal zu der schüchternen Bitte aufschwang, ihn mm doch endlich zu der rllmki, mawi- zu entlassen, dann blickte der Herr Etatsrath ihn nur eine Weile strafend mit seinen stieren Augen an und sagte leise, aber nachdrücklich: „Zeige einmal her, Archimedes, wie steht es mit der Schlensen-Rechnung?" oder: „Wie weit bist du denn eigentlich mit der Karte vom Westerkoog gediehen?" Dann holte Archimedes voll stillen Zorns die halb oder ganz vollendete Arbeit, war aber zugleich für lange Zeit mit seinen Bitten aus dem Felde geschlagen.
So blieb er denn zurück, während seine Schulgenossen erst lustige Studenten wurden, dann einer nach dem anderen sein Examen machte und auch wohl schon in die praktischen Geschäfte seines erwählten Berufes eintrat. Es machte sich von selbst, daß Archimedes mit der Prima unserer Gelehrtenschule in einein gewissen Verkehr blieb, auch nachdem der Letzte fort war, der noch zugleich mit ihm unserem armen Collaborator das Leben sauer gemacht hatte. Dies geschah schon dadurch, daß er zur Aufbesserung seines spärlichen Taschengeldes, das ihm der Vater für seine Comptoirarbeiten zufließen ließ, an faule oder schwachbeanlagte Schüler einen nicht üblen Unterricht in der Mathematik ertheilte. Ich, der ich jene beiden Arten in mir vereinigte, genoß diesen schon als Seenndaner, konnte jedoch hergebrachtermaßen seines freundschaftlichen Umganges erst als Primaner theilhaftig werden. Noch lebhaft entsinne ich mich, daß in meiner letzten Secnn- danerzeit mir die Aussicht auf dieses Anf- rücken kein geringerer Ehrenpunkt war, als der Uebergang in die höhere Classe