533
Storm: Der Herr Etatsrath.
selbst; denn Archiniedes imponirte uns durch eine gewisse Fertigkeit seiner geselligen Manieren, wie er denn überhaupt, so weit es sich nicht um seinen Vater handelte, unbefangen genug in seinen zierlichen Stiefeln auftrat. Er hatte, vielleicht ein Erbtheil aus seiner mütterlichen Familie, etwas von dem Wesen der Offiziere ans meiner Knabenzeit, bei denen ich nie darüber ins Klare kam, ob die eigenthümlich stramme Haltung des Kopfes, welche ihrer verbindlichen Höflichkeit stets die Wage hielt, mehr eine Folge ihrer steifen Halsbinden oder ihres ritterlichen Standesbewußtseins war. „Trefflich, trefflich!" pflegte Archimedes auszurnfen, wenn ich später, in meiner Primanerzeit, den Vorschlag zu einem ihm wohlgefälligen Unternehmen that, sei es zu einem „Thee-dansant" oder zu einer Schlittenpartie, wo es galt, bei jungen und jüngsten Damen den Cavalier zu machen; „trefflich, trefflich, lieber Freund; wir werden das in Ueberlegung ziehen!" Und während um seinen Mund das verbindlichste Lächeln spielte, sahen mich unter den kriegerisch aufgezogenen Brauen die richtigen Osfiziersaugen an, wie ich sie als Kind bei unserem Vetter Major bewundert hatte, wenn er in seiner rothen Gala-Uniform meiner Mutter seine Nen- jahrsvisite machte.
Indessen fanden dergleichen Vorschläge meist nur ihre Ausführung, wenn die unserer Stadt ungehörigen Studenten in die Ferien eingerückt waren, von denen übrigens die sportslustigen vor allen zu seinen Freunden zählten. Dann war seine Festzeit, in der er förmlich aufblühte; noch sehe ich ihn mit leuchtenden Augen zwischen ihnen sitzen, wenn sie prahlend ihre glücklichen Thorheiten vor ihm ans- kramten. „Brillant — brillant!" rief er, wenn die Geschichte ihren mit Spannung erwarteten Höhepunkt erstiegen hatte, streckte den eingeschnürten Kopf gegen den Erzähler
und stemmte beide Hände an die Hüften. Was Wunder, daß die Anderen erzählten, so lange auch nur ein Tittelchen noch übrig war!
So kam es, daß er in der alten Universitätsstadt, welche er andauernd in der Phantasie bewohnte, allmälig besser Bescheid wußte als die, welche zwar in Wirklichkeit, aber nur vorübergehend dort zu Hause waren. Hatte er jedoch den Ankömmlingen ihre Studenten- und Professorengeschichten glücklich abgewon- neu, so ruhte er nicht, bis mit oder im Nothfall auch ohne Damenwelt die eine oder andere Lustbarkeit zu Stande kam. Da sein Stundengeld ihn niemals ohne eine kleine Kasse ließ, so wurde es, wenn etwas Rechtes ins Werk gesetzt werden sollte, fast zur Regel, daß Archimedes, nachdem die Anderen die Erschöpfung ihrer Kasse eingestanden hatten, seine wohlbekannte grünseidene Börse hervorzog und mit einem wahrhaft kindlichen Triumphe den für diese Festzeit gesparten Inhalt auf der Tischplatte tanzen ließ, dann aber bereitwillig auf den nächsten Wechsel seiner Freunde Vorschuß leistete.
Freilich zu dem stets ersehnten Besuche der Universität reichte diese bescheidene Kasse nicht; und der Tag, welcher am Ende der Ferien die Studenten unserer Vaterstadt wiederum entführte, war für Archimedes, was für den lustigen Katholiken der Aschermittwoch ist. Er pflegte ihn auch selber so zu nennen, und wenn ich am Nachmittage darauf sein Zimmer betrat, so traf ich ihn mit den Händen in der Tasche eifrig auf- und abgehend, als ob er einen Gesundheitsbrunnen abznwandeln habe; erst nach einer Weile blieb er vor mir stehen und fuhr ohne weiteren Gruß mit der Hand über seine Stirn. „Asche, Asche, lieber Freund!" sagte er dann seufzend, und sein Finger machte das Zeichen des Kreuzes.
Sprach ich hierauf: „Wollen wir nicht