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Jllnstrirte Deutsche Monatshefte.
lieber unsere Mathematik vornehmen?" so war er auch hierzu bereit, legte Buch und Tasel auf den Tisch und wir nah- ^ men unsere Stunde. War dieselbe in! aller Pünktlichkeit gehalten worden, dann! — es war sicher darauf zu rechnen — stellte Archimedes zwei kleine geschliffene Gläser aus den Tisch und füllte sie mit einem feinen Kopenhagener Kümmel, den er sich, ich weiß nicht woher, mitunter zu verschaffen wußte. „Trink einmal," sagte er während des Einschenkens; „das vertreibt die Grillen!" Und gleichzeitig leerte er auf einen Zug sein Glas.
„Ich habe keine Grillen, Archimedes," pflegte ich zu erwidern; „und wer kann so früh am Tag schon trinken!"
„Freilich, freilich!" stieß er hervor; „aber" — und er begann wieder mit den Händen in der Tasche auf- und abzuschreiten, wobei seine Augen wie ins Leere um sich blickten.
Eine Weile sah ich dem zu; dann hieß es: „Prosit, Archimedes!" und von der anderen Seite wie im Echo: „Prosit!" und darauf, wie aus Träumen auffahrend, während ich zur Thür hinansging, noch einmal: „Prosit, prosit, lieber Freund!"
Diese Scene hat sich in fast wörtlicher Wiederholung mehr als einmal zwischen uns abgespielt.-
Ich hätte wohl schon erwähnen sollen, daß Archimedes eine Schwester hatte; sie war zugleich sein einziges Geschwister, jedoch um viele Jahre jünger als der Bruder. Gesehen hatte ich sie bis zu meiner Secundanerzeit nur im Vorübergehen, dagegen oftmals von ihr reden hören; denn sie war eines der Haupt- capitel einer unverheiratheten Hausfreundin, die wir, nicht etwa weil sie Alles konnte, aber weil sie Alles wußte, „Tante Allmacht" nannten.
Daß die Mutter des Kindes bald nach dessen Geburt ihr freudloses Leben hingegeben hatte, war freilich bekannt ge
nug; Tante Allmacht aber, deren Magd vordem in dem etatsräthlichen Hause gedient hatte, wußte noch hinzuzufügen, daß ihr durch den nnvermutheten Eintritt ihres Herrn Gemahls in die Wochenstube gleich jener Nachtwächterfran ein Schrecken widerfahren sei, dem sie in ihrem Zustande und bei ihrer zarteren Organisation nothwendig habe erliegen müssen. Da kein weibliches Wesen wieder in das Hans kam, welches die Stelle der Mutter hätte vertreten können, so mußte, nachdem die unumgängliche Säugamme entlassen war, die kleine Waise zwischen Köchin und Hausmagd aufwachsen, „die, Gott tröst' es," sagte Tante Allmacht, „dort alle Halbjahr neue Gesichter haben! — Meine Stine," setzte sie hinzu, „die gute Creatnr, hat freilich ein rundes Jahr in dem unseligen Hause ansgehalten, bloß um des lieben Kindes willen, das sich sogar sein bischen Mittag in der Küche betteln mußte. Wenn's Abend wurde, dann hat es freilich wohl der gutmüthige junge Mensch, der Archimedes, mit auf seine Stube genommen; da saß es dann auf einem Schemelchen und verschmauste fein Butterbrot, und Stine hatte ihm auch mitunter noch ein Ei dazu gekocht. Sie war nicht bang, meine Stine, vor diesem Herrn Etatsrath; sie hat ihn manches Mal vor seiner alten Harmonika wieder auf die Beine gestellt, als der Mnsche Käfer das noch lange nicht gewagt hat; und bei solchem Anlaß hat sie's denn auch einmal durchgesetzt, daß das arme Kind aus der Klippschule zum mindesten in die ordentliche Mädchenschule gekommen ist; denn sie hat ihm keine Handreichung thnn wollen, bevor der musikalische Oger ihr nicht solches mit theuern Eiden zugeschworen hatte. Wohin die kleine Phia, ob sie nach rechts oder links ihren Schulweg nahm, darum hat das Ungeheuer sich nicht gekümmert; nur wenn zu Ende des Quartals das jetzt um etwas höhere