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Jllustrirtc Deutsche Monatshefte.
ging, durch die Plankenritzen in den etatsräthlichen Garten hineinzuspähen, hinter welchem sich ein wenig benutzter Richtsteig mit dem Kirchhofswege kreuzte. Und oftmals nach der Nachmittagsschulzeit, wenn die Gartenruhe des Herrn Etatsraths längst vorüber war, habe ich sie dort beobachtet; meistens in dem unteren vom Hause abgelegeneren Theile, wo die an der Planke hingereihten Linden und eine Menge alter Obstbäume die darunter liegenden Rasenpartien fast ganz beschatteten. Hier sah ich sie, in der Astgabel eines Baumes sitzend, an einem Syringenkranze winden, von Zeit zu Zeit ihn an die Stirn hebend, ob er noch nicht passen wolle; ich sah sie dann, da ich nach längerer Zeit zurückkam, das dunkle Köpfchen mit dem fertigen Kranze geschmückt, auf den schon dämmerigen Gartensteigen hin und wieder wandeln, die Hände in einander gefaltet, wie in heimlicher Glückseligkeit. Als es Herbst geworden war, sammelte sie wohl auch einen Apfel aus dem tiefen Grase und biß frisch hinein mit ihren weißen Zähnchen; aber immer sah ich sie allein; niemals war eine Gespielin bei ihr, welche mit ihr m die saftigen Aepfel hätte beißen oder sie in ihrem Syringenkranze hätte bewundern können. Den letzteren hatte ich einige Tage nach seiner Anfertigung ans einem vernachlässigten Grabe des nahen Kirchhofes liegen sehen; es mochte ihr leid geworden sein, sich so für sich allein damit zu schmücken.
Aber auch in der Schule schien die Tochter des Etatsraths keine Genossin zu haben, wenigstens hatte ich mehrfach beobachtet, wie sie auf dem Heimwege mit ihrer schweren Büchertasche allein hinter dem plaudernden Schwarm einherging, der Arm in Arm die ganze Straßenbreite einnahm.
„Warum," sagte ich zu meiner Schwester, „laßt ihr Sophie Sternow so allein gehen?"
Sie sah mich mit ihren lebhaften Augen an: „Bist du plötzlich Sophie Sternow's Ritter geworden?"
Beschämt, meine zarten Empfindungen verrathen zu haben, erwiderte ich ruhig: „Ich meinte nur, sie thut mir leid; ist sie denn nicht nett?"
„Nett? Ich weiß nicht; ich glaube Wohl, daß sie ganz nett ist."
„Du sagst das ja, als wenn du Almosen austh eiltest!"
„Nein, nein; ich kann sie ganz gut leiden, aber sie will nur immer meine Freundin werden!"
„Und warum willst du das denn nicht?"
„Warum? Ich habe ja schon eine; man kann doch nicht zwei Freundinnen haben!"
„So könntest du sie doch einmal zu dir einladen," sagte ich nach einigem Bedenken.
„Die Blasse scheint dir ja sehr am Herzen zu liegen!" erwiderte meine Schwester mit einem unausstehlichen Anstarren.
! „Ach, Unsinn! Sie dauert mich; ihr I Mädchen seid hartherzige Creaturen."
! Nach diesem geschwisterlichen Zwiegespräche kam Archimedes' Schwester einige Male in unser Haus. Mit Genugthuung beobachtete ich, wie meine Mutter das ! schmächtige Mädchen zärtlich zu sich heranzog; es war unverkennbar, daß diese ! sich dann Gewalt anthat, um nicht die ungewohnte Liebkosung mit allem Un- ^ gestüm der Jugend zu erwidern. Im j klebrigen war ste schüchtern, besonders wenn sie die Hand zum Abschied reichte; es schien sie dann zu drücken, daß sie nicht auch ihrerseits meine Schwester zu sich einladen konnte. Aber eines Sonntag Vormittags, erschien sie strahlend mit vor Freude gerötheten Wangen. „Ich soll dich einladen," sagte sie zu meiner Schwester; „ich darf noch Viele einladen; mein Vater hat es mir erlaubt!"
Und wirklich, der Herr Etatsrath hatte es erlaubt. Er hatte kürzlich herausge- sundeu, daß er eine Tochter habe, welche