Jllustrirte Deutsche Monatshefte.
538
ganz voll von Punsch, und so stark, ich glaube, ich wurde schon vom bloßen i Riechen schwindelig! Und dabei sagte der ^ schreckliche Mensch: , Das ist ein wenig Znckerwasser für die Damen!' Eigentlich, weißt du, Papa, es schmeckte ganz gut; aber ich mußte doch gräulich danach husten, als ich nur eben davon nippte. Der Herr Etatsrath aber trank gleich drei Gläser nach einander, und er goß sich noch jedesmal etwas dazu aus einer kleinen Flasche, die er neben seinem Altar stehen hatte. — Und dann mußten wir wieder tanzen, und dann trank er auf unsere Gesundheit:
, Die Rosen im Lebensgarten, die Damen leben hoch!' Sehr schön, nicht wahr? Wir mußten Alle mit ihm anstoßen, und dann füllte er sein Glas wieder, bis er zuletzt einen Kopf hatte wie eine Feuerkugel, — ganz gräulich sah er aus!
, Tanzet, kleine Fräulein, tanzet!' rief er immer; aber er konnte gar nicht mehr Tact halten; ich glaube gewiß, Papa, er war betrunken!"
„Ich glaube auch, Margrethe."
„Ja, und wir waren auch so bange; wir saßen Alle in der weitesten Ecke, ganz über einander wie die Fliegen. Mich dauerte nur Phia — Papa, wenn ich solche Angst vor dir haben müßte, schrecklich! — Wie ein kleiner Geist stand sie vor uns und flehte uns ordentlich an:
, Wollt ihr nicht mehr tanzen? O, bitte, versucht es doch noch einmal!' Sie streckte ihre Arme aus, daß Eine von uns sie aufnehmen möchte, denn sie tanzte immer nur als Dame; als wir uns aber nicht aus unserer Ecke wagten, ging sie von der Einen zu der Anderen und bat uns um Verzeihung, wir möchten doch nicht böse sein, daß sie uns zu sich eingeladen habe. Und da wollten wir auch wieder tanzen, aber als wir eben ein wenig im Gange waren, da fing der schreckliche Etatsrath auf einmal an zu singen: ,Was kommt dort von der Höhst was kommt
dort von der ledernen Höh'?' — Kennt ihr es? Ein ganz scheußliches Studentenlied! — Und dabei wurde er so hitzig, daß er sich das Tuch vom Halse riß und es dicht vor meine Füße schleuderte!"
„Und dann, Margrethe?" srug mein Vater, als sie hochaufathmend innehielt.
„Dann? Ja, glaubt nur, daß ich mich erschrocken hatte! Dann — bin ich fortgelaufen. Hu! ich mußte ganz dicht bei dem fürchterlichen Mann vorbei; ich weiß noch selbst nicht, wie ich aus dem Saal gekommen bin."
„Arme Phia!" dachte ich in demselben Augenblicke, als meine Mutter diese Worte aussprach.
Mein Vater wiegte leise seinen Kopf und sagte nachdenklich wie zu sich selber: „Es geht doch nicht; das darf nicht wieder kommen."
Und es ging auch nicht. Für Phia Sternow blieb dieses Fest mit ihren Jugendgenossinnen das einzige ihres Lebens.
Als endlich bei Beginn eines Sommersemesters auch die Zeit meines Abganges zur Universität heranrückte, verfiel Archi- medes in eine große Traurigkeit; die Scene mit den kleinen Gläsern, da es nachher nicht mehr möglich war, hatte sich schon jetzt in einigen Variationen abgespielt, und das Mitleid bedrängte mich derart, daß es sich nothwendig in irgend einer heldenhaften That entladen mußte.
Bei dem Abschiedsbesuche, den ich Archimedes auf seinem oben nach dem Garten hinaus liegenden Zimmer abstattete, bot sich hierzu die günstigste Gelegenheit; denn da ich, während mein armer Freund schweigend auf und ab wandelte, ebenso stumm und erregten Herzens aus dem Fenster blickte, gewahrte ich drunten den Herrn Etatsrath, der, in einer großen Zeitung lesend, in seinem Gartenstuhle