Heft 
(1881) 299
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Storm: Der H

saß. Mein Entschluß war sofort gefaßt; ich nahm kurzen Abschied, drängte den verbindlichen Archimedes zurück, als er mich die Treppe hinabbegleiten wollte, ging dann aber statt ans die Straße hinten nach dem Garten und stand gleich daraus dem Herrn Etatsrath gegenüber.

Er schien trotz meines Grußes meine Anwesenheit nicht zu bemerken, wenigstens las er ruhig weiter, während ich ebenso ruhig, aber keineswegs mit besonderer Behaglichkeit, vor ihm stehen blieb. End­lich ließ er den Arm mit dem Zeitungs­blatte sinken.Was wollen Sie, mein Freund?" sagte er.Nicht wahr, Sie sind der Sohn des Justizraths so und so?"

Diese Worte sind nicht etwa eine Ab­kürzung seiner Rede; er sprach das wirk­lich, obgleich er mit meinem Vater längst in mannigfacher, mitunter vielleicht ein wenig heikler Geschäftsverbindung stand.

Etwas betroffen suchte ich meine Ge­danken möglichst rasch zu ordnen und plaidirte dann auch mit allen Gründen des Kopfes und des Herzens und, wie ich mehr und mehr zu empfinden meinte, in siegversprechendster Weise für den Lebens­wunsch des armen Archimedes.

Der Herr Etatsrath hatte mich aus- reden lassen, dann aber winkte er mich näher zu sich heran und legte, nachdem ich Folge geleistet hatte, seine Hand schwer ans meine Schulter.Junger Mann," begann er mit immer gewaltigerem Brust­ton,Sie haben sonder Zweifel davon reden hören: vor meiner Zeit war hier kein Deich, der Stand hielt; Menschen und Vieh ersoffen gleich wie zu Noäh Zeiten; hier war nichts als Pestilenz und gelbes Fieber! Erst von mir, von dem Sie einst erzählen mögen, daß Sie den Mann mit eigenen Augen noch gesehen haben, datirt die eigentliche Aera unseres Deichbauwesens! Holländische Staats­ingenieure wurden hergesandt, um die Construction meiner Profile zu stndiren;

err Etatsrath.

denn es ist mein Werk, daß diese ehren­reiche Stadt sammt Ihnen, junger Freund, und dem Justizrath, Ihrem Vater, nicht Anno fünfundzwanzig von der Fluth ver­schlungen worden, und daß hier, wo ich jetzt die Ehre Ihrer Unterhaltung genieße, nicht Hai und Rochen mit einander con- versiren! Aber" und die vorquellenden Augen verbaten sich jeden Widerspruch nach mir ist mein Sohn Archimedes der erste Mathematikus des Landes!"

Er zog seine Hand zurück und machte gegen mich von seinem Sessel aus eine Art unbehülslichen Entlassungscompliments.

Unwillkürlich erwiderte ich dasselbe und ging dann recht beschämt davon, in der, wie ich noch jetzt meine, wohlbegründeten Ueberzeugung, daß meine grüne Bered­samkeit gegen diese Art denn doch nicht aufzukommen vermöge.

So blieb Archimedes denn abermals zurück, während ich voll muthiger Erwar­tung in das neue Leben hinaussteuerte.

-fr

Ich habe hier nicht von mir und mei­nem Stndentenleben zu reden, sonst müßte ich erzählen, wie diese Erwartungen nur zum kleinsten Theil erfüllt wurden; denn die Leute, mit denen ich zunächst zusammen­traf, erschienen mir, sei es durch ihre Per­sönlichkeit oder nur durch ihr derzeitiges Thun und Treiben, um einige Stufen niedriger als die, welche ich zurückgelassen hatte. So kam es, daß ich manchen Brief in meine Heimath sandte und wiederum von dort empfing; auch Archimedes schrieb mir einige Male; sein Uebergewicht an Jahren, seine treuherzige Anhänglichkeit boten für das ihm etwa Fehlende ge­nügenden Ersatz, und seine Briefe waren so ganz er selber, daß ich beim Lesen ihn leibhaftig vor mir sah, den kleinen guten Mann mit seinem erbsengelben Haarpull, z seinem verbindlichen Lächeln bei dem krie-