Storm: Der Herr Etats rath.
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Freund Archimedes irrte, das waren keine Kinderaugen mehr.
Wir tanzten dann, und ich würde noch jetzt sagen, daß sie trefflich tanzte; nur empfand ich in ihren anmuthigen Bewegungen nichts von jener frohen Kraft der Jugend, die sonst in den Rhythmen des Tanzes so gern ihren Ausdruck findet. Dies und die etwas zu schmalen Schultern beeinträchtigten vielleicht in etwas die sonst so eigenthümlich schöne Mädchen- erscheinnng.
Nach beendigtem Tanze führte ich sie an ihren Platz zurück, und sie setzte sich wieder neben das häßliche Mädchen, welches von Niemandem ansgefordert war und jetzt froh schien, wenigstens für den Augenblick aus seiner Verlassenheit erlöst zu werden. Als ich in dem Gewirre der sich anflösenden Paare Archimedes zu Gesicht bekam, konnte ich die Frage nicht unterlassen, ob er denn die Rose von heute Morgen seiner Schwester nicht gegeben habe.
„Freilich, freilich!" erwiderte er, indem er zugleich einen Jnspectionsblick in dem Saal nmherwarf; „aber die Kleine scheint auf einmal eigensinnig geworden; sie wollte keine Blumen tragen; sie konnte nicht einmal sagen, weshalb sie es nicht wollte; sie bat mich flehentlich um Verzeihung, daß sie es nicht könne; denn, in der That, ich wurde fast ein wenig zornig! — Nun, lieber Freund," setzte er in munterem Ton hinzu, „die Damen haben ihre Launen, und jetzt werde ich selber mit der kleinen Dame tanzen!"
Während er dann zunächst noch zu den Musikanten ging, blickte ich im Saal umher. Die blasse Phia Sternow war die Einzige, deren junges Haupt mit keiner Blume geschmückt war; in dem dustweißen Kleide mit dem Silbergürtel erschien sie fast nur wie ein Mondenschimmer neben ihrer plump geputzten Nachbarin. Und wieder mußte ich an die Willis denken,
und jenes phantastische Mitgefühl, das ich als halber Knabe für sie empfunden hatte, überkam mich jetzt aufs Nene. Dies verleitete mich auch, als ich später mit der Busenfreundin meiner Schwester im Contretanze stand, diese etwas männliche Brünette mit ziemlich unbedachten Vorwürfen wegen einer solchen, wie ich mich ausdrückte, absichtlichen Trennung von der früheren Schulgenossin zu überhäufen. Hatte ich doch mit steigender Erregung wahrgenommen, daß keine der hiesigen jungen Damen sie begrüßte, wenn sie an ihrem Platz vorübergingen, ja daß eine derselben mit plötzlicher Bewegung den Kopf zur Seite wandte, da sie unerwartet in der Tanzkette ihr die Fingerspitzen reichen mußte.
Schon während meiner Rede hatte ich bemerkt, daß meine Tänzerin eine kriegsbereite Haltung annahm. „Sprechen Sie nur weiter!" sagte sie jetzt, als ich zu Ende war; „ich höre schon." Und dabei trat sie einen Schritt zurück, als wolle sie mich besser Aug' in Auge fassen.
Als ich hierauf noch einmal betonte, was nach meiner Meinung in diesem Falle vorzubringen war, ließ die schöne Braune mich ruhig ansreden; dann sagte sie mit einer Gemessenheit, die seltsam zu dem jungen Munde stand: „Ich verstehe das Alles wohl; aber finden Sie nicht selbst, daß es Fräulein Sternow völlig frei steht, unsere Gesellschaft aufzusuchen, wenn sie anders meinen sollte, daß sie noch dahin gehöre?"
„Dahin gehöre?" Ich wiederholte es fast erschrocken. „Sie wollen doch die Aermste nicht für ihr väterliches Haus verantwortlich machen?"
Fräulein Juliane — so hieß die schöne Männin — zuckte nur die Achseln; gleich darauf mußten wir tanzen. Als wir wieder auf unserem Platze standen, gewahrte ich die Besprochene in der anderen Reihe neben uns, und so konnte