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Jllustrirte Deutsche Monatshefte.
das Gespräch nicht wieder ausgenommen werden. Zu meiner stillen Genugthuung bemerkte ich wenigstens, daß Phia Sternow von den Tänzern nicht vergessen wurde, wenn sreilich diese auch meist nur aus den Freunden ihres Bruders und diesem selbst bestanden. Sie erschien mir jetzt, da der Tanz ein leichtes Roth auf ihre Wangen gehaucht hatte, so über Alle schön, daß ich fast laut zu mir selber sagte: „Der Neid; es ist der Neid, der sie verfehmt."
Die Hälfte des Abends war vorüber; der Cotillon, der Tanz, wo es gilt, die Pausen zu verplaudern, führte mich wieder mit ihr zusammen. Den vorhergehenden Walzer hatte ich in einem Ansalle von Barmherzigkeit mit ihrer unschönen Nachbarin getanzt, und Sophie Sternow hatte mich, da ich sie von ihrer Seite holte, mit einem dankbaren Lächeln angeblickt, dem einzigen, das ich an diesem Abend aus ihrem jungen Antlitz sehen sollte. „Wer ist das Mädchen?" srug ich jetzt. „Sie scheint eben keine beliebte Tänzerin."
Phia blickte flüchtig zu mir auf. „Sie ist eine Fremde," sagte sie dann; „sie hat hier keine Freunde."
Sie schwieg, und ich suchte nach einem anderen Unterhaltungsstoff. Was aber sollte ich reden, ohne bei der Armseligkeit dieses Lebens anzustoßen! Da begann ich von ihrem Bruder, von seinem redlichen Fleiße, von unserem treuen Zusammenhalten. Nur aus den geöffneten Lippen und den regungslos ans mich gerichteten Augen erkannte ich, mit welcher Theilnahme sie meinen Worten folgte; aber auch jetzt brach kein Lächeln durch den leidenden Ernst dieser jungen Züge.
„Fräulein Sophie," sagte ich, „ich weiß es, Sie haben durch den Fortgang dieses Bruders viel verloren!"
Ein kaum hörbares „Ja" war die Antwort. Als ich aber dann, des aufs
Neue bevorstehenden Scheidens gedenkend, hinzufügte: „Diesmal werden Sie ihn schon nach ein paar Monden wiederhaben!" da schloß sie die Augen, als wolle sie in keine Zukunft blicken, und hielt ihr Antlitz wie das einer schönen Todten mir entgegen.
„Fräulein Sophie!" erinnerte ich leise; denn ich sollte meine Dame zu dem mit Blumensträußen gefüllten Körbchen führen.
Sie schlug langsam die Augen wieder auf, und wir tanzten diese und noch manche andere Tour; gesprochen aber haben wir nicht viel mehr mit einander.
Gern hätte ich noch vor der gemeinschaftlichen Abreise am anderen Morgen meine Schwester über die Vorgänge des verflossenen Abends ausgeforscht; aber der Wagen hielt schon früh um fünf Uhr vor dem Hause, und ihres Unwohlseins halber durfte sie nicht wie sonst das letzte Viertelstündchen beim Morgenthee mit mir verplaudern.
Es kann endlich nicht länger verschwiegen werden, daß Archimedes während der langen Wartezeit daheim auch bei anderen als den bisher erwähnten Anlässen mit jeneu kleinen Gläsern in Berührung gekommen war. — Im Hinterstübchen eines Gasthofes, wo sonst nur die Leute aus der Marsch ihre Anfahrt hielten, Pflegte sich ein paar Mal wöchentlich ein Kleeblatt älterer Männer zusammenzufinden, sämmtlich voll mannigfacher Wetterführung und scharfer rücksichtsloser Beurtheilung aller übrigen Menschen. Bei einer Pfeife Petit-Kanasters und einem Gläschen feinsten und nur in diesem Stübchen zum Ausschank kommenden Pomeranzen-Liquors, das ohne Bestellung vor Jeden hingestellt und ebenso erneuert wurde, verstanden sie es, die respectabelsten Häupter der Stadt in so einseitige Beleuch-