Storm: Der Herr Etatsrath.
tung zu rücken, daß sie Jedem als die lustigsten Caricaturen erscheinen mußten. Diesen Leuten, welche in halbem Bruche mit der übrigen Gesellschaft sich selbst genug waren, hatte im letzten Winter Archimedes sich als Vierter angeschlvssen, nachdem er mit dem Hauptwortführer derselben, einem früheren Offizier, eines Nachmittages aus der Eisfläche des jetzt verschwundenen Mühlenteiches in allen Kunst- sormen des Schlittschuhlaufes gewetteifert hatte.
Zwar hatte er, als dann im Hinterstübchen des Gasthofes die bestbeleumdetsten Honoratioren in so possenhafter Verwandlung vvrgeführt wurden, anfänglich sein gutmüthiges Haupt geschüttelt; das Gläschen, welches auch ihm gesetzt und gefüllt wurde, war für ihn durchaus nothwendig, um nur die spaßhafte Seite dieses Puppenspiels zu sehen; aber freilich, das Mittel schlug auch an, und so kam es, daß er an den betreffenden Abenden meist schon als der Erste des nunmehrigen Vierblattes vor seinem Gläschen saß, in ungeduldiger Erwartung, daß mit dem Erscheinen der drei anderen Gäste das Stück aufs Neue beginnen möge. Er bedurfte eben eines kräftigeren Anreizes, als der Verkehr mit den ihm immer grüner erscheinenden Gelehrtenschülern ihm zu bieten vermochte.
Daß eine eigentliche Neigung zum Trinken in Archimedes steckte, habe ich nie bemerkt; jedenfalls schien zu solchem Bedenken jeder Anlaß verschwunden, sobald er den Boden der Universität betreten hatte. — Da tauchte — etwa einen Monat nach unserer letzten Rückkehr — unter einer Anzahl ihm bekannter Corpsstudenten eine Tollheit auf, welche vielleicht von einzelnen älteren Herren noch jetzt als ein Auswuchs ihres Jugend- übermuths belächelt wird, welche aber für Andere der Anfang des Endes wurde. Ohne Ahnung jener späteren Aera des
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^ Absinthes, behaupteten sie, in dem „Pome- z ranzen-Bittern" den eigentlichen Feind des Menschengeschlechts entdeckt zu haben, und erklärten es für eine der idealsten Lebensaufgaben, selbigen, wo er immer auch betroffen würde, mit Hintenansetzung von Leben und Gesundheit zu vertilgen. Dieser Erkenntniß folgte rasch die That: eine, Bitternvertilgungscommission * wurde gebildet, die an immer neu erforschten Lagerorten des Feindes ihre fliegenden Sitzungen hielt. Die Sache wurde bekannt und begann über die Studentenkreise hinaus Anstoß zu erregen; sogar ein Anschlag am schwarzen Brett erschien, welcher den Studenten unter Androhung der Relegation den Besuch einer Reihe näher bezeichnter Häuser untersagte, natürlich nur ein Sporn zu noch heldenhafteren Thaten.
Zu meinem Schrecken erfuhr ich, daß auch Archimedes sich diesem Unwesen zugesellte. Hatte die Oede seines niedergehaltenen Lebens ihn zu jenem älteren Kleeblatt Hingetrieben, so war es jetzt das in dieser Sache steckende Stückchen Sport, das ihn heranzog; er kannte ja jenen Feind des menschlichen Geschlechts seit lange, er mußte mit dabei sein. Vergebens suchte ich ihn zurückzuhalten. „Liebster," sagte er, „laß mich auch einmal, wie du es nennst, ein wenig toll sein; ich versäume ja nichts damit! Und so beruhige dein treues Herz, auch wenn dir für unsere erhabene Sache das Ver- ständniß fehlen sollte!"
Er machte seine kriegerischen Augen und sah mich dabei mit seinen: besten Lächeln an; mir blieb zuletzt nichts übrig, als der Sache ihren Lauf zu lassen. Denn darin freilich unterschied er sich von den Genossen seiner Tollheit, außer seiner Gesundheit wurde nichts von ihm versäumt. Gewissenhaft, und wenn die Stunde noch so früh war, besuchte er seine Collegien, und war die eine Nacht