Heft 
(1881) 299
Seite
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Jllustrirte Deutsche Monatshefte.

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wieder trinken; nnd darum ..." Seine Hände fuhren auf dem Deckbett hin und her.Nein," Hub er wieder an,lieber Freund, das war es doch nicht, was ich dir sagen wollte; entschuldige mich, du mußt das wirklich entschuldigen!"

Bei den letzten Worten waren seine Augen im Zimmer umhergeirrt, und seine Blicke verfingen sich an dem Stiefelpaar, womit er der Wärterin, nach deren Er­zählung, so viele Mühe gemacht hatte; dem einzigen, welches Spuren des Ge­brauches an sich trug.

Ein glückliches Lächeln ging über sein eingefallenes Antlitz.Nun weiß ich es!" sagte er leise; und mit seiner ab­gezehrten Hand ergriff er die meine, die andere hob sich zitternd und wies mit vorgestrecktem Zeigefinger nach den Stie­feln.Das war unser letzter Ball, lieber Freund; du tanztest mit meiner Schwester, mit meiner kleinen Phia; aber sie war doch nicht vergnügt ... sie ist noch so jung; aber sie konnte nicht ver­gnügt sein ich habe immer daran denken müssen: so allein mit dem Alten und den Zeitungen und dem ... verfluch­ten Käfer!"

Er hatte beide Arme aufgestemmt und sah mit wilden Blicken um sich.Sie hat mir nicht geschrieben, gar nicht; aus alle meine Briefe nicht!"

Die Wärterin erhob warnend ihre Hand.Der Herr spricht zu viel!" Aber Archimedes warf ihr seine Cava- liersaugen zu;dummes Weib!" mur­melte er; dann, wie von der letzten Anstrengung ermüdet, ließ er sich zurück­sinken und schloß die Augen. Er athmete ruhig, und ich glaubte, er werde schlafen; aber noch einmal, ohne sich zu regen, flüsterte er mit unaussprechlicher Zärtlich­keit:Wenn ich nur erst das Examen ... Phia, meine liebe kleine Schwester!"

Dann schlief er wirklich; ich legte seine Hand, welche wieder die meine ergriffen

hatte, aus das Deckbett und ging leise s fort.

Als ich am anderen Morgen wieder durch den unteren Flur des Hauses ging, schlurfte der Eigenthümer desselben, ein hagerer Knochendreher, auf seinen Pan­toffeln hinter mir her und zog mich unter Höflichkeitsgeberden in eins der nächsten Zimmer, wo ich außerdem noch seine wohlgenährte Gattin, welche der eigent­liche Mann des Hauses war, und eine ältliche Tochter antraf, die wie ein weiblicher Knochendreher aussah. Alle umringten mich und redeten durch ein­ander ans mich ein: sie hätten vor ein paar Jahren erst das theure Hans mit all' den schönen Zimmern hier gekauft; das könne ich wohl denken, daß noch schwere Hypotheken darauf lasteten, und noch ständen just die besten Zimmer un- vermiethet, obschon die Herren es doch nirgend besser als bei ihnen haben könn­ten! Ich wußte anfänglich nicht, wo alles dies hinaus sollte; dann aber kam's: sie fürchteten für ihren rückständigen Mieth- zins; ich sollte ihnen helfen, denn -- Archimedes war um Mitternacht ver­schieden.

Ich stieß diese Leute, die freilich nur ihr gutes Recht zu decken suchten, fast ge­waltsam von mir nnd stieg langsam die Treppe nach dem Oberhaus hinauf. Also doch! Todt; Archimedes todt!"

Und da stand ich vor seinem schon er­kalteten Leichnam; aber sein eingefallenes Todtenantlitz trug wieder den Ausdruck der Jugend, und mir war, als schwebe noch einmal sein gutes Lächeln um die erstarrten Lippen.

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Als ich in den Osterferien nach Hause kam, war mein erster Gang zu dem Herrn Etatsrath; nicht daß mein Herz mich zu dem Vater meines verstorbenen