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und des Abends wieder Rum; und so fiel er auch nicht, wie mein unsterblicher Archimedes, als ein Opfer der Wissenschaft, er war vielmehr dem Laster der Trunksucht ergeben und ging dadurch zu Grunde. Deß ohnerachtet bliesen wir ihn mit zwölf Posaunen zu Grabe und tranken sodann im Rathskeller so tapfer auf seine fröhliche Urständ, daß bei Anbruch des Morgens nur noch Wenige von uns an das Tageslicht hinaufzugelangen vermochten. Aber" — sein Blick war auf mein unberührtes Glas gefallen — „Sie haben ja nicht getrunken! , vuws moiumst sagt Horatius; schenken Sie sich selber ein; es freut mich, einmal wieder mit einem flotten Studiosus den Pocal zu leeren!"
Die Gesellschaft des Herrn Etatsraths begann mir unheimlich zu werden, auch wollte ich endlich meine Rechnungen zur Sprache bringen und zog deshalb, indem ich zugleich seiner Aufforderung folgte, mein Päckchen aus der Tasche und begann die Papiere vor ihm Hinzubreiten.
Er würdigte dieselben keines Blickes; die Erläuterungen aber, welche ich hinzuzufügen für nöthig hielt, schien er aufmerksam anzuhören. „Gewiß, mein junger Freund," sagte er dann, als ich zu Ende war, „mein herrlicher Archimedes wäre ja kein Student gewesen, wenn er nicht mit etwelchen Schulden in die Ewigkeit gegangen wäre! Geben Sie, junger Mann, die Rechnungen dieser Böotier an den Herrn Käfer zur weiteren Hinterlegung oder, was ich für das Schicklichste erachte, retradiren Sie selbige an ihre ehrenwerthen Autoren!"
Ich glaubte den Sinn dieser Worte nicht recht gefaßt zu haben. „Aber sie sollen doch bezahlt werden?" wagte ich einzuwenden.
„Nein, mein junger Freund" — und die stumpfen Augen sahen unter den schwarzen Borstenhaaren mich fast höh-
che Monatshefte.
nisch an — „ich sehe dazu nicht die mindeste Veranlassung."
Ich mag dem Herrn Etatsrath wohl ein recht verblüfftes Gesicht gemacht haben, als ich meine Rechnungen znsammenfam- melte und wieder in die Tasche steckte; dann aber nahm ich meinen Abschied, so sehr er mich auch mit trunkener Höflichkeit zurückzuhalten suchte.
Als ich auf den Flur hinaustrat, vernahm ich dort ein halb unterdrücktes Weinen, und da ich den Kopf wandte, sah ich auf den Stufen einer Treppe, die hinter dem Zimmer des Etatsraths in das Oberhaus hinaufführte, eine weibliche Gestalt hingekanert; an der blauen Schürze, in die sie ihr Gesicht verhüllt hatte, glaubte ich sie für dieselbe zu erkennen, die sich vorhin so hastig meinem Blick entzogen hatte.
Als ich unwillkürlich näher trat, erhob sie den Kopf ein wenig, und zwei dunkle Augen blickten flüchtig zu mir auf.
„Fräulein Sophie!" rief ich; denn ich hatte sie erkannt, obgleich ihr schönes Antlitz durch einen fremden scharfen Zug entstellt war. „Ja, weinen Sie nur; er hat Sie sehr geliebt! O, Fräulein Phia, wenn Sie nicht kommen konnten, weshalb schwiegen Sie auf alle seine Briefe?" — Das einsame Sterbelager meines Freundes war vor mir anfgestiegen; ich hatte es nicht lassen können, diesen Vorwurf auszusprechen.
Sie antwortete mir nicht; sie wühlte das Haupt in ihren Schoß und streckte beide Arme händeringend vor sich hin; ein Schluchzen erschütterte den jungen Körper, als ob ein stumm getragenes ungeheures Leid zum Ausbruch drängte.
War das allein die Trauer um den Todten, was sich da vor meinen Augen offenbarte? — Unschlüssig stand ich vor ihr; dann begann ich zu berichten, was ich immerhin der Schwester des Verstorbenen schuldig zu sein meinte: von ihres