Heft 
(1881) 299
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Storm: Der Herr Etatsrath.

Bruders letzten Tagen, von seiner Sehn­sucht nach der sernen Schwester und wie ihr Name von seinem sterbenden Munde auch sür mich das Abschiedswort von ihm gewesen sei.

Ich schwieg einen Augenblick. Als ich noch einmal beginnen wollte, streckte sie abwehrend, in leidenschaftlicher Bewegung die Hände gegen mich.Dank, Dank!" rief sie mit einer Stimme, die ich nie vergessen werde;aber gehen Sie, aus Barmherzigkeit, gehen Sie jetzt!" Und ehe ich es verhindern konnte, hatte sie meine Hand ergriffen, und ein paar fieber­heiße Lippen drückten sich darauf.

Beschämt und verwirrt, zögerte ich noch, ihr zn gehorchen; da wurde aus dem Zimmer nebenan ihr Name gerufen; die rauhe Stimme ihres Vaters war nicht zu verkennen.

Schweigend und wie todmüde erhob sie sich; aber ich hielt sie noch zurück und sprach die Hoffnung ans, sie bald in ruhigerer Stunde in meiner Eltern Haus zu sehen.

Sie blickte nicht zu mir hin und ant­wortete mir nicht, weder durch Worte noch Geberde. Langsam schritt sie nach dem Zimmer ihres Vaters; als ich die Hausthür geöffnet hatte, wandte ich noch einmal den Kopf zurück; da stand sie noch, die Klinke in der Hand, die großen Augen weit dem Sonnenlicht geöffnet, das von draußen in den dunklen Hausflur strömte; mir aber war, da hinter mir die schwere Thür ins Schloß siel, als hätte ich sie in einer Gruft zurückgelassen.

Wie betäubt kam ich nach Hause; es nahm mich fast Wunder, als ich hier Alles wie gewöhnlich fand: meine Schwester saß mit einer großen Weißzeugnüherei am Fenster; neben ihr im Sopha Tante Allmacht mit ihrer ewigen Tricotage.

Ich konnte nicht an mir halten, ich erzählte den Frauen Alles, was mir widerfahren war.Was ist geschehen

mit dem armen Kinde?" rief ich;das war nicht nur ein Leid, das war Ver­zweiflung, was ich da gesehen habe."

Ich erhielt keine Antwort; Tante All­macht schloß ihre Lippen fest zusammen; meine Schwester packte ihre Näherei hinter sich auf den Stuhl und ging hinaus. Ich sah ihr erst erstaunt nach und machte dann Anstalt, sie zurückzurufen; aber Tante Allmacht faßte meine Hand:Laß, laß, mein lieber Junge; das sind keine Dinge für die Ohren einer jungen Dame, wenn auch die ganze Stadt davon erfüllt ist!"

Sprich nur, Tante," sagte ich trau­rig;ich weiß schon, was nun folgen wird!"

Ja, ja, mein Junge; der Mnsche Käfer es ist gekommen, wie es nicht anders kommen konnte; und wenn nicht ein noch größerer Scandal geschehen soll, so wird der Herr Etatsrath zu einer sehr unschicklichen und recht betrübten Heirath seinen Segen geben müssen. Im Uebrigen ist natürlich dieser Rabenvater der Ein­zige, welcher von dem Stand der Dinge keine Ahnung hat."

Tante Allmacht that ein paar Seufzer. Die arme Phia!" fügte sie dann mit seltener Milde bei;ich habe kluge und gereifte Frauen an solch elenden Gesellen verderben sehen, warum denn nicht ein dummes unberathenes Kind!"

Zu der von Tante Allmacht vorhin bezeichnten Heirath kam es nicht. Was nun noch folgte, habe ich nicht mit­erlebt; ich saß in unserer Universitäts­stadt an meiner lateinischen Examenarbeit; aber mein Gewährsmann ist wiederum jener alte Handwerksmeister, der nächste Nachbar des Herrn Etatsraths.

Es war im Hochsommer desselben Jahres, in einer jener Hellen Nächte, die