Heft 
(1881) 299
Seite
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Jllustrirtc Deutsche Monatshefte.

auch schon unserer nördlicheren Heimath eigen sind, als er durch etwas wie aus der Nachbarschaft zu seinem Ohre Drin­gendes ans tiefem Schlaf emporgerissen wurde: ein Geräusch, ein ungewohnter Laut hatte die Stille der Nacht durch­brochen. Aengstlich horchend saß er auf­recht in den Kissen. Deutlich unterschied er jetzt die Hausthürglocke des Herrn Etatsraths, im Hause selbst ein Treppen­laufen und Schlagen mit den Thüren; dann eine junge Stimme, nein, einen Schrei, wie in höchster Noth aus armer hülfloser Menschenbrust hervorgestoßen!

Voll Entsetzen war der alte Mann von seinem Lager aufgesprungen, da hörte er draußen auf der Straße eilige Schritte näher kommen. Er stieß das Fenster auf und gewahrte eine alte Frau, die er in der Dämmerhelle zu erkennen glaubte. Wieb! Wieb Peters," rief er,ist Sie es? Was ist denn das für ein Schrecken in der Nacht?"

Die alte, sonst so schweigsame Frau war dicht zu ihm herangetreten.Geh' Er nur wieder schlafen, Meister," sagte sie und hielt dabei ihre großen unbeweg­lichen Augen auf ihn gerichtet;was Er gehört hat, geht Ihn ganz und gar nichts an; oder wenn Er nicht schlafen kann, so helf' Er den Herrn Etatsrath wecken, wenn Reu' und Leid ihn noch nicht haben wecken können!"

Damit war sie fortgegangen; und gleich darauf hatte derMeister abermals die Thür­glocke des Nachbarhauses läuten hören.

--Was in dieser Nacht geschehen war,

blieb nicht lange verborgen; schon am an­deren Morgen lief es durch die Stadt; in den Häusern flüsterte man es sich zu, ans den Gassen erzählte man es laut: unter dem Dache des Etatsraths lagen zwei Leichen; die Stadt hatte aus Wochen Stoff zur Unterhaltung.

Dann kam der Begräbnißtag. Dem Sarge, in welchem ein neugeborenes Kind

an seiner jungen Mutter Brust lag, folg­ten zwei Schreiber und die nächsten Nach­barn; Herr Käfer hatte am selben Mor­gen eine Reise angetreten; der Herr Etatsrath hatte aus unbekanntem Grunde sich zurückgehalten. Als aber der Leichen­zug in dem Todtengange an der Garten- Planke entlang kam, sah man ihn auf dem Altane in jener Ecke, der jetzt weit offenen Kirchhofspforte gegenüber, sitzen; er rauchte aus seiner Meerschaumpfeife und stieß mächtige Dampfwolken vor sich hin. Die leuchtendste Junisonne beschien den Sarg und den einzigen aus Immer­grün und Myrthenblüthen gewundenen Kranz, den Tante Allmachts Stina heim­lich am Abend vorher darauf gelegt hatte.

Der Herr Etatsrath dampfte aus sei­nem Meerschaumkopfe, als müsse er un­sichtbar machende Wolken zwischen sich und die heranschwankende letzte Bettstatt seines Kindes bringen; gleichwohl, als man sich seinem Sitze näherte, scheuchte er sie mit seiner runden Hand zur Seite, so daß das stark geröthete Antlitz daraus her­vorsah. Er rückte auf seiner Bank; es schien, als ob er zum Gefolge reden wolle.

Oontrn vim mortis! Oontrn vim mortis!" sagte er kopfschüttelnd und winkte herab­lassend mit der freien Hand nach unten. Aber recht schönes Wetter hat sie sich zu ihrem letzten Gange ausgesucht!" Er hatte ein paar Mal zu diesen Worten angesetzt; als er sie sprach, war der Zug schon in den Kirchhof eingetreten.

Diesem ohnerachtet," versicherte mich der alte Rothgießermeister,und da ich einstmals unsere Quarta durchgemacht, hatte ich das Alles wohl verstanden; unser Herrgott läßt eben allerlei Volk in seiner Welt gedeihen; er muß schon wissen, wozu das taugen mag! Aber sagen muß ich doch, nachdem wir den Sarg mit den beiden armen Kindern eingesenkt hatten I und nun den Weg zurückgingen, da rauchte