Heft 
(1881) 299
Seite
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588 Jllustrirte Deutsche Monatshefte.

Aber Capitän Robinet ließ sich nicht be­lehren.

Wir hatten die Anker gleich nach Tages­anbruch gelichtet. Der Morgen war frisch, fast kalt; und nachdem wir Jnosima passirt hatten, blies uns ein starker Nordostwind so unsanft entgegen, daß wir das Deck verließen und uns in die Kajüte zurück­zogen, wo wir mit nur kurzen Unter­brechungen während des ganzen Tages verweilten. Mittlerweile bahnte sich derSaint Louis" seinen Weg durch den Meeresarm, welcher die Inseln Kiusiu und Gotto von einander trennt und in dem sich eine große Anzahl kleiner freund­licher Inseln befindet, deren harmlose Be­wohner Ackerbauer und Fischer von der ganzen Welt so gut wie nichts wissen und von denen die Außenwelt nur wenig weiß. Gegen vier Uhr Nachmittags hatten wir diesen Theil unserer Reise, der die ganze Aufmerksamkeit des Capitäns in Anspruch genommen hatte, zurückgelegt. Wir hatten nun breites, sicheres Fahr­wasser vor uns und steuerten, von einem günstigen Winde rasch vorwärts getrieben, der japanischen Insel Tsusima zu.

Tsusima, am Eingänge des japanischen Meeres zwischen Korea und Japan ge­legen, ist sechsundzwanzig englische Meilen lang und ungefähr drei englische Meilen breit. Ein enger Meeresarm theilt die Insel in zwei Theile. Die östliche Aus­fahrt dieses Canals ist jedoch so seicht, daß sie selbst von kleinen Booten nur bei Hochwasser passirt werden kann. Dort liegt die Hafenstadt Fatschn, in der ein nicht unbedeutender Handel getrieben wurde, da Tsusima damals noch das Monopol des kaufmännischen Verkehrs zwischen Japan und Korea besaß. Tsusima ist ein bergi­ges, gesundes und überaus anmuthiges Land. Die Anzahl seiner Bewohner wird auf zwanzigtausend geschätzt.- In dem ungeheuren Reiche von China hört man immer nur von Provinzen und Städten sprechen, in denen die Menschen millionen­weise zusammengeschart leben; in dem kleinen Japan hat Alles bescheidene Ver­hältnisse. Dort nennt man eine Insel mit zwanzigtansend Einwohnern schon eine große" Insel.

Die Westküste von Tsusima, der wir uns am Tage unserer Abreise bis auf eine unbedeutende Entfernung näherten,

ist durch eine ununterbrochene Reihe be­waldeter und cnltivirter Hügel gebildet. Hinter diesen Hügeln erhebt sich eine im­posante und malerische Bergkette. Russische und englische Kriegsschiffe haben die Küste von Tsusima untersucht; aber iu das Innere der Insel, von der die Japaner die ver­lockendsten Beschreibungen machen, ist noch kein Fremder gedrungen.

Gegen Abend hatten wir Tsusima im Süden gelassen, und am nächsten Morgen befanden wir uns ans dem japanischen Meere, das von den Inseln Saghalin, Jesso, Nippon, Kiusiu, von der korea­nischen Halbinsel und der rnssisch-ostasiati- schen Küstenprovinz so eng eingeschlossen wird, daß es einem großen Binnenmeere gleicht. Wir brachten fünf Tage ans dem­selben zu und erreichten am 1. November den russischen Hafen von Wladiwostock, an der Südspitze einer kleinen Halbinsel gelegen, die von den Engländern den Namen^.lböi-t?6nin8uR" erhalten hat.

Wladiwostock.

Die Einfahrt zum Hafeu vou Wladi­wostock wirkt überraschend durch die selt­sam zerrissenen Felsenwände, welche einen Theil derselben bilden. Der Hafen selbst ist drei englische Meilen lang und dreiviertel Meilen breit und gegen alle Winde ge­schützt. Er ist von Hügeln umgeben, die sich an einigen Stellen dreihundert Fuß hoch über den Meeresspiegel erheben und die mit Laub- und Nadelholz spärlich be­deckt sind. Im Sommer, wenn Alles grünt und blüht, muß Wladiwostock einen freundlichen Anblick gewähren; im Herbst und Winter sieht es dort traurig und öde aus. Unter allen Umständen erscheint mir das Los der kleinen russischen Garni­son von Wladiwostock als ein beklagens- werthes. In den Vertragshäfen von China und Japan lebt man so zu sagen noch an dem breiten schnellen Strom des civilisirten Lebens; man erfährt dort zwar einige Wochen später als in London, Paris, Berlin und New-Iork, was in derWelt" vorgeht, aber man erfährt es in regel­mäßigen Zwischenräumen, gleichsam als lebe man nach einem Kalender, der sechs oder acht Wochen nachgeht. Jedes bedeu­tende politische Ereigniß wird in Shanghai oder Jokohama mit demselben Eifer dis-