Heft 
(1881) 299
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dschurei kommen und dort ein elendes Da­sein durch Ackerbau und Fischfang fristen. Obgleich verwildert und halb verthiert, sind sie doch noch von dem Handelsgeiste beseelt, der die Chinesen auszeichnet. Sie verkaufen den Russen Pelzwerk und Ginsing- wnrzeln und suchen auf jede mögliche Weise Geld zu verdienen. Es sind große, stark­gebaute Nordchinesen, die mit zäher Aus­dauer und Duldnngskraft ausgestattet sind und die wahrscheinlich in kurzer Zeit wohlhabende und verhältnißmäßig glück­liche Gemeinden bilden würden, wenn die Mausa-Gesellschaft nicht ausschließlich aus Männern bestände.

Ich fragte unseren Wirth, wie er seine Zeit verbrächte. Er rieb sich nachdenklich die Stirn, und dann antwortete er mir: Ich habe Manches zu thun. Ich über­wache den Bau der neuen Häuser, die Cultur unseres Gartens und unserer klei­nen Felder, das Betragen der Leute. Wenn die Jahreszeit es erlaubt, so gehe ich auf die Jagd. Es giebt hier Tausende von Rebhühnern, Enten, Schnepfen und Fa­sanen. Wir finden auch Hirsche, Hasen, Zobel, Füchse und, wenn das Glück gut ist, einen Bären. Einer meiner Vorgän­ger hat sogar einen prachtvollen Tiger erlegt, der aus seiner indischen Heimath in das Amurland gewandert und bis in die unmittelbare Nähe unserer Baracken vorgedrungen war. Im Winter ist es sehr kalt und das ganze Land mit tiefem Schnee bedeckt. Dann bleibe ich im warmen Zimmer, wo mir mein jüngerer Kamerad Gesellschaft leistet. Den Tag füllen wir aus, indem wir rauchen, lesen, Schach spielen und unsere Mahlzeiten nach Mög­lichkeit ausdehuen. Die Nächte sind lang, wir schlafen viel. Ein Tag vergeht wie der andere. Man merkt kaum, daß Wochen und Monate schwinden. Da wir von Nie­mandem Nachrichten erwarten können, sind wir auch nicht ungeduldig. Eines Morgens sieht man die Frühlingssonne durch die Fenster scheinen; dann geht man ins Freie und freut sich seines Lebens bis es wieder kalt und' dunkel wird. Wenn ich mir die Sache recht überlege, so ist es bei uns beinahe ebenso amüsant und kaum trauriger als irgendwo anders in der Welt."

Wir leisteten dem resignirten Manne zwei Tage lang Gesellschaft, und wenn-

chc Monatshefte.

schon wir nach gewöhnlichen Begriffen nichts thaten, um ihm Freude zu machen, so darf ich doch annehmen, daß er auf­richtig war, als er uns beim Abschied sagte, er werde die Tage, die derSaint Louis" in Wladiwostok zugebracht habe, nicht vergessen und rechne sie zu den an­genehmsten, die ihm während seines Lebens dort beschieden worden seien. Er bestand darauf, mir zum Abschied ein Geschenk zu machen. Es war eine von ihm selbst ge­fertigte Arbeit, die Arbeit eines Galeeren- sclaven: ein Schachspiel, dessen plumpe Figuren aus hartem Holze mit einem Federmesser geschnitzt waren.

Mgabay und Kakodate.

Hundert englische Meilen östlich von Wladiwostock liegt eine andere russische Militärcolonie, Olgabay genannt. Wäh­rend der kurzen Fahrt dahin verloren wir die tatarische Küste nicht aus den Augen. Sie ist unbebaut und erscheint unfruchtbar. Die rauhen Felsen, die sich am Ufer erheben, sind hier und da mit einer ärmlichen gelben Moosdecke über­zogen und mit Wäldern von verkümmer­ten Fichten, Birken und Eichen bedeckt. Kleinere und größere Buchten, die Fischer­booten sicheren Schutz gewähren würden, trifft man häufig au; aber nirgends ist ein Dorf, ein Boot, ein menschliches Wesen zu erblicken. Alles ist ungastlich, kalt und öde.

Olgabay ist ungefähr zwei englische Meilen lang und ebenso breit. Im nord­östlichen Theil der Bai findet man einen kleinen inneren Hafen. Dort hat die russische Garnison, aus eiuigeu fünfzig Mann bestehend, ihre Baracken anfge- schlagen. Ich machte die Bekanntschaft des Gouverneurs. Er war der mora­lische Zwillingsbruder seines Kameraden von Wladiwostock. Im Hafen von Olgabay traf ich auch den russischen KriegsdampferJaponitz", der seit vier Jahren den Postdienst auf der ostasiati­schen Küste versah und in unregelmäßigen Zwischenräumen die Häfen von Castris, Jmperatorbay, Dui, Koussonay, Olgabay, Wladiwostock, Passiatbay und Nikolajewsk besuchte, um dort Briefe einzusammeln und nach Shanghai oder Nagasaki zu bringen.