Heft 
(1881) 299
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Lindau: Reise-Erinnerungen.

Zwischen Olgabay und Hakodate wurden wir von einem heftigen Sturm überfallen. DerSaint Louis" erlitt erhebliche Be­schädigungen, und als wir den Hafen von Hakodate endlich erreicht hatten, erklärte der Capitän, daß er mehrere Wochen ge­brauchen würde, um das Schiff wieder in Stand zu setzen. Walsh und ich verließen darauf denSaint Louis" und suchten am Lande Unterkommen, das wir auch, bei den gastfreundlichen Sitten der dort ansässigen Fremden, leicht fanden. Walsh stieg bei einem seiner Landsleute, dem Capitän Fletcher, ich selbst bei einem mir bekannten französischen Missionär, dem Abba Mermet de Cachon, ab. Wir verweilten in Hakodate nahe an sechs Wochen, die ich dazu benutzte, um meine Gesundheit, die sich während der See­reise bereits erheblich gebessert hatte, ganz wieder herzustellen und um Ausflüge an der Küste und in das Innere von Jeffo zu machen. Ich lernte bei dieser Gelegen­heit einige japanische Ortschaften und den merkwürdigen Menschenschlag der Aino kennen. Auch traf ich in Hakodate wieder mit einem Engländer zusammen, der mir von meinem ersten Besuche in Aokohama her bekannt war und den ich als die sonder­barste Persönlichkeit unter den in Japan ansässigen Fremden bezeichnen möchte. Seine Arbeiten sind Tausenden von Ame­rikanern und Europäern zu Gesicht ge­kommen; er selbst dürfte aber nur weni­gen Menschen außerhalb Japans bekannt sein.

Charles Wirgman kam im Jahre 1860 zum ersten Mal nach China, und zwar im Aufträge einer großen englischen Zei­tung, derJllustrated London News". Er veröffentlichte damals in dem ge­nannten Blatte eine Reihe vorzüglicher Zeichnungen aus China, welche ihn in kurzer Zeit zu einem bekannten und be­liebten Correspondenten machten. Aber China erregte Herrn Wirgman's Miß­fallen. Er erklärte, das Land wäre zu flach, das Meer zu gelb, die Luft zu schwer. Die Chinesen schienen ihm häß­lich und unliebenswürdig; das in den Straßen zur Schau getragene furchtbare Elend der chinesischen Bettler und Krüp­pel, sowie auch der wackelnde Gang der

sich nach Japan, das ihm, im Gegensatz zu China, über alle Maßen gefiel, und wo ich ihn bald nach seiner Ankunft ken­nen lernte. Wirgman mochte damals fünfundzwanzig Jahre alt sein; er war ein mittelgroßer, wohlgebauter Mann mit dichtem, braunem Haar, offener Stirn, klugen, Hellen Augen, lachendem Munde und großer Nase und erschien mir, nach seinem ganzen Wesen zu urtheilen, wie ein vollendeter Typus liebenswür­diger, leichtlebiger Sorglosigkeit. Ich habe in dieser Beziehung unter vernünf­tigen und gebildeten Menschen überhaupt seines Gleichen nicht wiedergesnnden. Wirgman überraschte mich auch durch seine Sprachkenntnisfe; denn Engländer von Geburt und Erziehung, sprach er Deutsch wie ein Deutscher und Französisch, als stammte er aus Paris. Italienisch, Holländisch und Japanisch waren ihm ebenfalls vollständig geläufig, und zur Noth konnte er sich auch noch auf Spa­nisch, Portugiesisch, ja sogar auf Chine­sisch verständlich machen. Auffallend war seine unglaubliche Anspruchslosigkeit; er schien die meisten der Bedürfnisse eines civilisirten Menschen gar nicht zu kennen und stets vollständig mit dem zufrieden zu sein, was sich ihm gerade darbot. Sein Anzug war im Winter wie im Sommer derselbe. Wurde es empfindlich kalt, so zog er einen seidenen, dickwattir- ten japanischen Talar an, denselben, der ihm in der Nacht als Decke diente; im Sommer konnte man ihn in seiner Woh­nung in der nach japanischer Manier keine Möbel standen halb nackt vor seiner Staffelei arbeiten und auf der Straße ohne Halsbinde und ohne Weste spazieren gehen sehen. Für Vorurtheile jeglicher Art hatte Wirgman so wenig Gefühl und Verftändniß, daß er deswegen bei einigen seinerstricten" Landsleute im Rufe eines cynischen Menschen stand. Die Japaner, auf welche die meisten Fremden wie auf geistig Untergeordnete herabblickten, behandelte Wirgman wie Ebenbürtige und konnte sich mit ihnen köstlich amüsiren. Er hatte in kurzer Zeit die beliebtesten japanischen Volkslieder gelernt; auch wußte er auf dem Samsin, der dreisaitigen japanischen Guitarre, zu spielen, und es machte ihm anscheinend

Chinesinnen beleidigte sein Schönheits­gefühl. Er verließ Shanghai und begab

das größte Vergnügen, des Abends in