593
^ Lindau: Reise
Skizzen, unbeantwortete Briefe und viele andere Sachen, die der persönlichen Erledigung dringend bedürften. Mehrere Male nahm er von feinen Freunden Abschied, ließ dieselben bei festlichen Mahlzeiten auf seine Gesundheit trinken und machte sich ganz bereit, am nächsten Tage zu reifen; aber immer kam wieder etwas dazwischen, was ihn in feinem geliebten Japan festhielt. Das Schiff ging zu früh ab, oder das Wetter war zu stürmisch, zu heiß oder zu kalt; oder auch: er hatte sich im letzten Augenblicke entschlossen, den „nächsten" Steamer abzn- warten, weil er dann mit einem guten Freunde, einem zweiten Macdonald, reisen konnte. Schließlich gab er den Gedanken, nach Europa zurückznkehren, definitiv auf und erklärte, er habe sich entschlossen, bis an das Ende seiner Tage in Japan zu bleiben. Japan sei das schönste Land der Erde, die Japaner die liebenswürdigsten, anspruchslosesten Menschen; nirgends lebe sich leichter, sorgenloser, freier als in Aokohama, und es sei gar kein vernünftiger Grund vorhanden, weshalb er wieder nach London gehen, einen hohen schwarzen Hut tragen und sich langweilen sollte. — Seitdem sind nahe an zwanzig Jahre dahingegangen. William Macdonald, Wirgman's Reisebegleiter, ist im Jahre 1865 in Aokohama an einem Sonnenstich gestorben; aber der „Ekakisan" lebt noch immer in Japan. Er ist der älteste „Resident" von Jokohama und wird aller Wahrscheinlichkeit nach nie wieder nach Europa zurückkehren. Er hat eine Zeitung gegründet: „Düs ckapan Uurmll", die, wie der alte Prospectus es ankündigte, „in unregelmäßigen Zwischenräumen, je nach dem Humor und den Geldbedürfnissen des Verfassers erscheint." — Dieses Blatt, das auf japanischem Papier mittelst Holzplatten gedruckt wird und heutzutage vielleicht einzig in seiner Art ist, hat eine gewisse Anzahl alter Abonnenten, die ihn: seit seiner Gründung getreu geblieben sind und dem Herausgeber ein bescheidenes Einkommen gewähren, von dem der anspruchslose Mann sorglos und vergnüglich lebt. Er hat jetzt graue Haare bekommen; aber Reisende, die ihn noch kürzlich gesehen und mir Grüße von ihm gebracht haben, versicherten, er sei noch immer jugendlich heiterer Laune wie
Monatshefte, r. 2 SS. — August 1881. — Vierte F
-Erinnerungen.
Vor zwanzig Jahren; er bilde gewissermaßen einen Bestandtheil von Jokohama, und man könne sich das „KstUsmirit" ohne ihn gar nicht denken. — Von dem „ckapan kunell" will ich hier noch zur Charakteristik seines Herausgebers erwähnen, daß ich nie ein Blatt gesehen habe, welches so wenig Rücksicht auf seine Leser nimmt wie dieses. Wirgman scheint in demselben stets zu monologisiren. Ich erinnere mich, eine Reihe von Artikeln ini „ckapÄn Unlieb" gesehen zu haben, die mir und allen anderen Lesern ganz unverständlich waren. Sie bestanden aus wohltönenden, sinnlosen Phrasen, die seitenlang an einander gereiht waren.
„Was soll das bedeuten?" fragte ich Wirgman.
„O," antwortete Ekakisan, „ich wollte mein Ohr erfreuen, ohne meinem Geist eine unnütze Anstrengung zu verursachen, und da habe ich diese Artikel geschrieben. Sie werden zugeben, daß dieselben wie Musik klingen. Die englische Sprache ist in der That sehr harmonisch."
„Und das wagen Sie Ihren Lesern aufzutischen?"
„Warum nicht? Haben Sie einen angetroffen, der mir deshalb böse wäre?"
Thatsache ist, daß Wirgman Vieles gestattet war, was kein anderer Journalist sich ungestraft hätte erlauben dürfen. — Als ich ihn in Hakodate antraf, war er damit beschäftigt, so behauptete er wenigstens, die Sitten und Gebräuche der Aino zu studiren. Ich glaube aber nicht, daß er viel von diesen sah; denn während der Zeit, wo ich ihn beobachten konnte, war er fortwährend nur in Gesellschaft von Europäern. Er sagte mir, die Eingeborenen von Hakodate seien viel ungeschliffener als die von Yokohama, und er könne sich nicht mit ihnen befreunden. Wirgman liebte es, in Aphorismen zu sprechen, und ich erinnere mich dunkel einiger kühner Lehrsprüche, die er damals über die Gefahr, mit rohen Menschen zu verkehren, zum Besten gab.
Die Japaner von Jesso sind im Allgemeinen größer, stärker und unmanierlicher als ihre Landsleute aus den Südprovinzen. — Was die Aino, die ich sah, angeht, so machten sie in ihrer ängstlichen Unterwürfigkeit einen kläglichen Eindruck. Ueber dem Ursprung dieses unterdrückten
lge, Bd. VI. ss. 38